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Die Affäre Rue de Lourcine im Residenztheater: Lustig verzettelt  

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Verwirrung mit Musik: Die Affäre Rue de Lourcine
Verwirrung mit Musik: Die Affäre Rue de Lourcine © Sandra Then

Die Affäre Rue de Lourcine von Eugène Labiche im Residenztheater 

Zwei alte Schulspezln haben schwer gefeiert und ein Mordsrausch mit nach Hause gebracht. Die Konsequenz: Filmriss. Nach und nach kommt die Erinnerung wieder, tauchen Dinge und Informationen auf, die sie Schreckliches vermuten lassen müssen: Wir haben ein Mädchen ermordet! Doch damit nicht genug, es scheint Mitwisser zu geben. Und was macht man mit solchen? Klare Sache. Beseitigen. Ein Krimi also ist „Die Affäre Rue de Lourcine“, und ein Boulevardstück: Spannung und Humor – der Franzose Eugène Labiche (1815 - 1888) wusste, wie man das Publikum ins Theater kriegt. Betrieb er das Schreiben seiner insgesamt 175 Stücke doch quasi geschäftlich, im Team, für die kommerziellen, nicht vom Staat finanzierten Theaterbühnen im Paris Mitte des 19. Jahrhunderts.

Mit Witz beschrieb er, was der Karikaturist Honorè Daumier mit spitzer Feder zeichnete: das Bürgertum und seine Macken. Das Bürgertum auf der Bühne im Residenztheater ist Upper Class und wohnt speziell: in hässlicher, aber wohl angesagter SchachtelArchitektur (Entwurf: Sigi Colpe), man klebt sich Geldscheine an die Wand, zum Geburtstag gibt’s den neuen Weber-Grill. Die beiden Protagonisten Mistingue und Lenglumé sind hier irgendwie eins: Michael Wächter in gleicher Klamotte als Alter Ego von Thomas Lettow. Die Frau des Hauses, Mareike Beykirch, setzt – wenn sie nicht gerade ihr eigenes Baby spielt – ihre Worte mit Bedacht, gerade gegenüber dem ungarisch sprechenden Kindermädchen: Barbara Horvath kriegt sogar ihre eigenen Übertitel. Und dann geht die Sause los, in dieser textlich massiv angeeigneten und umgedeuteten Version, die irgendwie heutig sein will, aber sich nicht recht entschließen kann. So springen wir, während (weiter-) gesoffen wird und auch mal gesungen, fröhlich durch die Zeiten. Dem lässigen Vetter Potard (Pujan Sadri) im Sweatshirt hängen die Kopfhörer um den Hals – aber es wird noch in Franc bezahlt und eine sichtlich alte Zeitung gelesen.

Es fällt die Jahreszahl 1837 – dafür jault dann wieder die E-Gitarre. Später, zum Showdown, zieht uns die Live-Videokamera in einen Höllentrip durch die Katakomben des Residenztheaters (bisschen „Shining“, bisschen Splatter: der Fuß im Fleischwolf) und sucht – weit über den Text hinaus – Bilder für das, was eigentlich in den Köpfen der Zuschauer entstehen müsste: wie der brave Bürger Monster wird. Und genau das ist das Problem dieses Abends: er will zu viel zeigen und verzettelt sich im Ideendschungel von Regisseur András Dömötör. Es ist too much, vieles wirkt nicht zu Ende gedacht, beliebig. Die Psychologie, die Motivation der Figuren bleibt oberflächlich, die Komik verharrt gerne im lachhaften Moment – beim Essen ragt man schon mal waagerecht übereinander liegend aus der Schachtelwand hervor und bröselt die unter einem Liegenden voll. Aber solche Effekte sind gern wichtiger als der Sinn. Und auch weil manche Info im Tempo und im Bilderwirbel verschwindet, geht das alles zu sehr über die Behauptung, fällt das unerbittliche Zudrehen der Katastrophenschraube viel zu schwach aus. Ohne diese Unerbittlichkeit fehlt aber was in der Komödie.

Gleichwohl: nach knapp anderthalb Stunden ist der Applaus lang, und er klingt irgendwie dankbar – ja, man lacht gerne mal wieder in diesen so seltsamen Zeiten. Dass das Resi ausverkauft ist, die Leute wieder kommen (nach Corona) - auch gut. Und das Ensemble: nur mit so einer starken Truppe meistert man auch konzeptionelle Herausforderungen.

Autor: Peter Eidenberger

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