Radikal Jung 2023 im Volkstheater: Wenn die Machtfrage im Raum steht

Das Volkstheater hat vom 27. April bis 5. Mai dreizehn mutige Regiearbeiten eingeladen.
Netflix ausschalten und schnell runter vom Sofa! Volkstheater-Intendant Christian Stückl und der Festivalleiter Jens Hillje stoßen das Fenster wieder ganz weit auf – raus in ein eine junge, bewegte, unruhige Welt. Ausgewählt von einem erfahrenen Kuratorenteam kommen zwischen 27. April und 5. Mai beim Festival Radikal Jung wieder Talente zum Zug, deren Arbeiten man unbedingt gesehen haben muss.
Eingeladen wurden diesmal 13 Regiearbeiten – eine davon, 8 ½ Millionen (5.5.) stammt von Mathias Spaan und damit vom Volkstheater selbst -, um den Blick über die Bandbreite spannender zeitgenössischer Themen- und Ästhetik-Entscheidungen schweifen zu lassen. Naturgemäß lässt sich nichts über einen Kamm scheren. Allerdings kehrt der Blick in Abgründe und über das hinaus, was bislang für kultiviert und möglich gehalten wurde, immer wieder.
So erzählt etwa Friederike Drews vom Deutschen Theater Berlin mit Mein Leben in Aspik eine doppelbödige Familiengeschichte, die sich immer rasanter in eine höllische Trauma-Achterbahnfahrt beschleunigt (3./4.5.). Übers Altern, Sterben, vielleicht sogar übers Ruhig-Werden und über das letzte Überprüfen des eigenen Standpunkts geht es im neuen Stück Zwiegespräch des Nobelpreisträgers Peter Handke. Rieke Süßkow bringt ihre Arbeit für das Burgtheater Wien als Uraufführung nach München (27.4.).
Ganz tief in die Vergangenheit geht es zurück mit der Odyssee-Adaption von Stas Zhyrkov – und dann natürlich wieder mitten hinein ins aktuelle Kriegsgrauen. Zwei Jungen aus der Ukraine und sieben Düsseldorferinnen verweben in der Produktion vom Schauspielhaus Düsseldorf die Homer-Motive mit einem weiblich geprägten Blick auf die alte Leier vom angeblich unvermeidlichen Kämpfen-Müssen (1.5.).
Vom Aneinander-vorbei-Reden und –Leben geprägt ist auch die traurige Zusammenkunft zur Totenwache in der Dschinns-Inszenierung von Selen Kara nach dem Roman von Fatma Aydemir. Es geht um eine ins trostlose Deutschland ausgewanderte Familie, die eigentlich den despotischen Patriarch zum geruhsamen Lebensabend nach Istanbul begleiten sollte. Doch kaum in der alten Heimat angekommen, stirbt er (30.4.). Schließlich dürften auch noch die Gondelgeschichten die Gemüter aufschaukeln, geht es doch um die Skrupellosigkeit der Tiroler-Skimafia und das Vertuschen der Corona-Bedrohung (1./2.5.)
„Die junge Generation hat Erzählanlässe und Gestaltungswillen“, sagt Festivalleiter Hillje über sein Programm. „Sie benutzt das Theater zur Konsolidierung von Diskursen und als ein Massenmedium im Sinne des Volkstheaters, dem Geschichtenerzählen nicht nur für die Peergroup, sondern über diese hinaus.“ Hingehen!
Autor: Rupert Sommer