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Unsere musikalischen Empfehlungen für den Mai

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Unsere musikalischen Empfehlungen für den Mai 2023
Neue Alben von The Hold Steady, Downpilot, Element Of Crime, Mudhoney, Metallica und FEH © Labels

Neue Alben von Metallica, The Hold Steady, Umme Block, Downpilot, Philipp Bradatsch, Element Of Crime, Mudhoney, FEH und Hundling

The Hold Steady - The Price Of Progress

Ich schreib’s lieber gleich mal vorneweg: Diesmal ist mein „Angespielt“ sehr, sehr männerlastig. Und noch schlimmer: Alte-weiße-cis-Männer-lastig. Aber, aus gutem Grund, denn Craig Finn (52) und seine The Hold Steady haben ein wirklich tolles Album gemacht. Trockener Gitarren-Rock’n’Roll ist da zu hören, mit allen Wassern gewaschen und auch sonst wenig spektakulär. Was „The Price Of Progress“ dennoch so besonders macht? Es sind die überdurchschnittlich guten Songs, es ist diese mitreißende, grundehrlich und ganz und gar authentisch wirkende Emotionalität und dann auch wieder diese fast schon übertriebene, die allwissende, niemals aber arrogante Gelassenheit einer Band, die so ziemlich alles schon erlebt hat und dieser Tage ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Herzlichen Glückwunsch dazu! Und Danke für dieses wundervolle Album.

Downpilot - The Forecast

Unter dem Pseudonym Downpilot lebt Paul Hiraga (Alter unbekannt, geschätzt Ende 40) seine Version von der perfekten Popmusik aus. Popmusik freilich fernab des Mainstreams, denn der Singer/Songwriter, Multiinstrumentalist und Tontechniker/Produzent aus Seattle sieht sich hörbar eher in einer Reihe mit ebenfalls alten-weißen-cis-Männern wie Josh Rouse, Ian Broudie (Lightning Seeds), Andrew Combs, Sam Beam (Iron And Wine), Cass McCombs, Benjamin Gibbard (Death Cab For Cutie), Dan Auerbach (The Black Keys), Stephen Duffy (The Lilas Time), Gary Louris (The Jayhawks) und all den anderen herausragenden Persönlichkeiten des Folk, des Americana und ja: des Rock und Pop. Jenen also, die für uns immer auf der Suche nach den musikalischen Glücksmomenten sind, denen man so gerne lauscht, weil sie uns das Dasein im Hier und Jetzt mit ihren Songs erträglich machen. Sehr starke Platte!

Element Of Crime - Morgens um vier

Hätte man all das, was Sven Regener und seine Band auch in 2023 wieder veröffentlichen, nicht schon so oft gehört, es wäre ein Meilenstein. Vielleicht so wie einst, 1991 „Damals hinterm Mond“ oder knapp zwei Jahre später „Weißes Papier“. So aber hält sich die „Überraschung“ im My-Bereich (gesprochen: Mü), also minimal, nicht erwähnenswert, nicht merklich… Klar, Regeners Texte sind eine Bank, waren es immer, jeder Satz pure Poesie. Seine Trompetennoten tröpfeln gewohnt stilvoll über die großstädtischen Schwermutsballaden und das Gitarrenspiel von Jakob Ilja ist wie immer einfallsreich und doch einprägsam. Nun bin ich Fan der ersten Stunde und gelegentlich wünsche ich mir dieses Gefühl von damals wieder, von den englischsprachigen Platten „Try To Be Mensch“ und „Crime Pays“ aus den späten 80ern. Das ist freilich vermessen, ich weiß, damals waren Element Of Crime desillusionierte, womöglich wütende junge Männer, die soffen und rauchten und Rock’n’Roll lebten, als gäbe es kein Morgen. Heute sind sie gesetzte Herren, Anfang/Mitte Sechzig, deutsch-poppiges Establishment mit leicht lehrerhaftem Unterton, schon klar… aber wünschen wird man sich ja noch was dürfen.

Mudhoney - Plastic Eternity

Und weil wir grad drüben waren, in Seattle. Mudhoney sind sowas Ähnliches wie ein musizierendes Wahrzeichen der Stadt an der Nordwestküste. Und, die Älteren unter uns erinnern sich: Mudhoney gelten neben Nirvana und The Streaming Trees als die Urväter des Grunge. Im Gegensatz zu Kurt Cobain und Mark Lannegan erfreut sich Sänger Mark Arm (63) aber weiterhin bester Gesundheit, zumindest ist nichts Gegenteiliges bekannt. Ganz abgesehen davon muss man es geradezu vermuten, denn, so agil, so lebendig, so großartig, wie er hier mit seiner Band ein erstes Lebenszeichen seit ca. fünf Jahren von sich gibt, ist allemal beeindruckend. Psychedelic-Rock ist darauf zu hören, Ausflüge in den Punk und, mei, ja, dann halt auch Grunge, von mir aus. Ist doch auch völlig egal, wie man das nennt, Hauptsache es macht gute Laune. Und Arm und seine Gefolgsleute haben die Schnauzen aber mal so gestrichen voll von dieser verblödeten, dem Untergang geweihten Menschheit, dass man sich ihren Soundtrack zur Apokalypse, mit den obligatorischen oft bissigen Kommentaren, gerne mal sehr laut auf Kopfhörer reinzieht.

Metallica - 72 Seasons

Um ehrlich zu sein: Ich hab den nie so richtig verstanden, den Hype. Warum, wieso, weshalb? Klar, gibt schon eine Handvoll Songs, die ich mir dann und wann auch mal ganz gerne anhöre, aber so insgesamt, das Lebenswerk betrachtend… echt jetzt?! Zumal ich Metallica (mittlerweile ebenfalls alle um die 60) mal in Roskilde gesehen habe, Ende der 90er muss das gewesen sein, und, na ja: Hat mich nicht gepackt, schon gar nicht berührt oder sonst wie stimuliert. Jetzt also ihr neuestes, epochales Werk. Nur ein Song („Too Far Gone?“) ist unter fünf Minuten, der erinnert ein bisschen an Black Sabbath in ihrer Speed-Metal-Phase (mit Ronnie James Dio), ohne jedoch auch nur in die Nähe von „Heaven And Hell“ zu kommen. Wobei man schon sagen muss: Geht stark los, mit dem Titelsong gefolgt von „Shadows Follow“ und dem vom Hippie- und Southernrock beeinflussten Intro zu „Streaming Suicide“, dessen lässiges Gitarrenriff wiederkehren soll. Dem Titel entsprechend schwerfällig, dennoch aber mächtig groovend dann „Sleepwalk My Life Away“. Spätestens aber ab „You Musst Burn“ verläßt einen dann ein bisschen die Begeisterung aufgrund von, tja, was eigentlich? Ist es die Routine, die man auf einmal meint erkannt zu haben? Die kompositorische Einfallslosigkeit der Protagonisten? Oder gar die klangliche Eintönigkeit? Wahrscheinlich ein bisschen was von allem. So gehört verstehe ich dann auch den aktuellen Hype mal wieder nicht…

Heimspiel - Mai 2023

FEH - Right On Song

Ha! Klingt ganz genau so wie Anfang der 90er Jahre. Ist ja noch gar nicht so lange her, meint man, dass Bands wie Moloko, Goldfrapp, Massive Attacke, Morcheeba, Sneaker Pimps oder Portishead eine ganz und gar neue, elektronische Spielart des Pop kreierten, da kommt auch schon das hörenswerte Revival daher. Und zwar von FEH, die, nicht aus Bristol, sondern, genau: München sind. Sängerin Julia Fehenberger, (Hi-Fly-Orchestra, Uptown Jazz Orchestra, The Boogoos) und ihre beiden Begleiter Oliver da Coll Wrage und Manuel da Coll (LaBrassBanda, Pollyester u.a.) überraschend mit einem ebenso homogenen wie internationalem Retrosound, der selbst eingefleischte TripHop-Fans in seinen Bann ziehen dürfte.

Umme Block - State Of Limbo

Eine schöne Idee war das: Erst analog auf Tonträgern, nämlich als CD und auf Vinyl, zu veröffentlichen und dann erst den Streaming-Markt zu bedienen. Ob es sich auch finanziell gelohnt hat, wir wissen es nicht. Aber, es zeigt, dass sich Klara Rebers und Leoni Klinger keineswegs nur im Digitalen zu Hause fühlen. Und, man merkt das auch auf ihrem neuen, mitreißenden Album „State Of Limbo“. Sehr warm, und ja, fast analog, klingt die herausragende Produktion, und das, obwohl man ja Umme Block dann doch irgendwie zu 100% im Electropop verorten muss. Aber, da ist halt nicht nur Electro, sondern auch jede Menge Pop und obendrein ein ganzer Haufen grandioser Songs, die einen immer wieder verzückt auf die Repeat-Taste drücken oder zum Plattenspieler rennen lassen.

Philip Bradatsch - dito

Apropos: Analog. Aber sowas von… ist seit eh und je: Philipp Bradatsch. Der formidable Gitarrist, Sänger, Komponist und Texter spielt auf der Akustischen genauso gern und großartig wie auf der E-Gitarre und klingt dabei - egal ob in Begleitung oder ohne - immer mehr nach amerikanischer Westküste als nach Glockenbachviertel, wo er mit seiner Familie (über)lebt. Denn ja, oh Wunder, es ist gar nicht mal so einfach sich in München von der Kunst, in dem Fall der Musik, über Wasser zu halten, geschweige denn eine dreiköpfige Familie zu ernähren. Da helfen auch alle Vergleiche von Tom Petty über David Eugene Edwards bis hin zu Bob Dylan nicht, wenn am Monatsende wieder mal Ebbe in der Kasse ist. Was ich meine ist: Kauft das Album ! ! ! Bradatsch ist einer der besten und interessantesten Künstler unserer Stadt, ihn an einen Nine-to-five-Job als U-Bahnfahrer oder sonst was zu verlieren, wäre geradezu fahrlässig. Zumal nach diesem wirklich grandios geratenen Americana-Folk-Album, mit den ebenso poetischen wie vereinnahmenden Texten.

Hundling - Stravanza di Monaco

Aus der selben Ecke, irgendwie (und dann auch wieder nicht): Phil Höcketstaller, kreativer Kopf von Hundling und seines Zeichens BR-Heimatsound-Sieger. Auf seinem dritten Album widmet er sich seiner italophilen Heimat München, respektive den Münchner G‘schichten, oder, noch etwas poetischer: „Stravanza di Monaco“. Musikalisch bleibt er dabei seiner Liebe zurm Bavarian- Americana treu, einer ebenso bunten wie lässigen Mischung aus Blues, Folk und Rock‘n Roll mit bairischen Texten. Skurriles gibt’s bei dem Untergiesinger genauso wie Lustiges, das mal größere, mal kleinere Gefühlsdramen. Geschichten also, die so oder so ähnlich passiert sind. Sie erzählen aus dem Leben der Menschen in unserer Stadt, aufgeschnappt beim „Stravanzen“ durch die Isarauen, im Café oder im Biergarten. Phil Höcketstaller philosopiert feinsinnig, packt Gefühlswelten in wenige Songzeilen und erweckt Unvergessliches und Alltäglich unweigerlich zum Leben.

Autor: Gerald Huber

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