Unsere musikalischen Empfehlungen für den April

Neue Alben von U2, Tom Wu, The New Pornographers, Miriam Hanika, Oskar Haag, Zelda Weber, Roo Panes, Henny Herz und Tristan Brusch
Oskar Haag - Teenage Lullabies
„Leaving For Monaco Or Wherever The Fuck We Want To Go“ - Ganz genau, Oskar, what a brilliant idea! BTW: Super Songtitel, gleich der Opener. Ein kaputtes, mit Säge-Orgel und Fuzz-Gitarren-Shatter interpretiertes Singer/Songwriter-Kleinod von besonderer Schönheit. Bei „Lady Sun And Mr. Moon“ zeigt sich der erst 17-jährige Österreicher minimalistisch und verletzlich. Man muss kein Wahrsager sein um sofort zu erkennen, dass hier einer mit ganz enormem Star-Material ausgestattet ist. Neben seinen wirklich bezaubernden, irgendwo zwischen Wave und Walzer changierenden Indie-Folk-Pop-Chansons, spielt er Shakespeare am Wiener Burgtheater und wird demnächst in seiner ersten großen Filmrolle an der Seite von Birgit Minichmayr zu sehen sein, wo er im Biopic („Im Land der starken Frauen“) über die Malerin Maria Lassnig, den jugendlichen Liebhaber Arnulf Rainer verkörpert, und zwar durchaus imposant… Also: Alle Zeichen stehen auf Megastar, nicht nur in Österreich, denn jede Wette, bald werden sie ihm auch in Deutschland zu Füßen liegen.
Zelda Weber - Crude
Und weil wir grad in Österreich sind: Erstmal ein ganz dickes Kompliment und aufrichtigen Dank an Dagmar Golle, die in ihren Heimatsound-Tipps auf Bayern 2 Woche für Woche ganz starke Newcomerinnen aus Bayern, Österreich und der Schweiz für uns entdeckt. Zuletzt waren das die Indiepop-Chansonnette Malva und Masha The Rich Man mit ihrem Cinematic-Folkpop. Jetzt stellte uns die gute Radioseele Golle eine erst 20-jährige Jazzsängerin aus Wien vor, ihr Name: Zelda Weber. Um es kurz zu machen, der jungen Sängerin steht eine Weltkarriere bevor - Punkt! Es gibt derzeit nichts Vergleichbares, wie auch? Zelda Weber klingt mit ihren fantastischen Musikern und ihren selbstkomponierten, großartigen Songs wie eine Mischung aus Billie Holiday, Melody Gardot und Amy Winehouse. Mit einem Wort: Sensationell!
Roo Panes - The Summer Isles
Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, warum so viele andere, angefangen bei Damien Rice über Tallest Man On Earth bis hin zum Passenger, mittlerweile die großen Hallen füllen, während Roo Panes immer noch ein Nischendasein fristet. Zumindest ist das in meiner Wahrnehmung so, schreibt mir, wenn ich mich täusche. Derweil ist Roo Panes mit Abstand der interessanteste, sympathischste, bestaussehendste Folk-Singer/Songwriter, den ich kenne. Kein Wunder, der Mann war mal Model (u.a. für Burberry), was ihm aber herzlich egal ist, denn sein Leben widmet er der Musik. Und was für einer. Auch „The Summer Isles“ ist wieder ein absolutes Muss für Fans des Leisetreter-Folk. Großartige Songs, tolle Akustikgitarre, perlende Pianos, schmachtende Streicher, zärtliche Handclaps und ein bissl (atmo)sphärisches Sounddesign, und über allem thront eine fantastische, eine derart vereinnahmend bezaubernde Stimme, dass man sich kaum mehr einkriegt, vor lauter Dahinschmelzen. Hach!
Tristan Brusch - Am Wahn
Es gibt derzeit nur sehr wenige deutschsprachige Popkünstler auf die man sich - einen gewissen, nun ja, sagen wir feuilletonistisch-lyrischen Anspruch vorausgesetzt - guten Gewissens einigen kann. Tristan Brusch gehört auf alle Fälle dazu. Sein neues Album nimmt einen von Beginn an in Beschlag. So fesselt der Opener „Wahnsinn mich zu lieben“ mit einem leichten Talk Talk-Esprit, „Oh Lord“ erinnert in seiner akustisch-rumpeligen Art an einen weiteren, Hochkaräter des gehaltvollen Deutschpop: Faber. Erstaunlich dann die - zugegebenermaßen etwas schwülstige - dennoch aber hörenswert nette Liaison mit Annett Louisan, in der die beiden ein bisschen an Jane Birkin und Serge Gainsbourg erinnern. Musikalisch wird sich ebenfalls kräftig in die 60er Jahre zurückversetzt, mit mal hohl und holzig, mal moppelig und warm klingenden Bässen, schwummrigen Orgeln, schüchterne Holzblasinstrumente, verhalltem Schlagzeug und schwelgerischen Streicherarrangements. Auch die Intensität von Bruschs gesanglichem Vortrag ist äußerst beeindruckend, ganz abgesehen von den mal markigen, mal poetischen Texten. Kurz vor Schluss dann die gefühlvoll arpeggierte E-Gitarren-Ballade „Glücklich“, die bei aller Schwermut und Verzweiflung aber genau das macht!
The New Pornographers - Continue As A Guest
Long time no hear… Lieb ich! Spätestens seit meinem Vancouver-Aufenthalt, damals 2007, als die ganze Stadt sich einig war, dass The New Pornographers mit ihrem - bis heute - fantastischen Album „Challangers“, die Charts der Welt erobern würden. Es kam freilich anders, aber, immerhin in den USA verweilten sie fünf Wochen mit der höchsten Notierung auf #34, weiß zumindest Wikipedia noch… Egal, das prächtig harmonierende Songwriter-Bandleader-Gespann A.C. Newman und Neko Case weiß auch im 23. Jahr ihres Bestehens, wie man die erwachsene Indiepop-Community aufs Vortrefflichste unterhält. Ganz besonders schön dabei, das pulsierende „Cat And Mouse With The Light“, die - im positiven Sinn - etwas schwerfällig rockenden „Last And Beautiful“ und „Continue As A Guest“, das unbeschwert treibende „Really Really Light“ und das ausgelassen träumerische „Marie And The Undersea“. Power-Pop at its best!
U2 - Songs Of Surrender
„I got spirit, I got soul, I got some big ideas, I’m out of control“, behauptet Bono, worauf Birgit Fuss im aktuellen Rolling Stone konterte, dass von den vier Sätzen wohl nur drei stimmten. Stark analysiert, denn wenn sich Bono eines gewiss nicht rühmen kann, dann, dass er und die seinen die letzten zwei Jahrzehnte irgendwelche „Big Ideas“ gehabt hätten. Natürlich meinte die Kollegin das Ding mit der Kontrolle, und auch so gelesen stimmt das, denn Bono weiß auch - alters- und lebensbedingt durchaus stimmlich angekratzt - genau, was er tut. Blieben also zwei Sätze, und fürwahr, „Spirit“ und „Soul“ hat er noch jede Menge, was man auch diesen reduzierten, ja, geradezu minimalistischen Aufnahmen altbekannter Gassenhauer deutlich anhört. Fuss gab „Songs Of Surrender“ die maximale Sternenzahl, nämlich 5, was so gut wie nie vor- und somit einem Ehrenoscar fürs Lebenswerk gleichkommt. Eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung.
Tom Wu - Tom Wu Is Dead
„Der legendäre Münchner Musiker Tom Wu wurde letzte Nacht tot aufgefunden, wie heute sein Label Echokammer bestätigte. Bekannt geworden als der singende Schlagzeuger, hinterlässt Tom Wu eine tiefe Wunde in der avantgardistischen Kunst- und Musikszene Münchens.“ Zitat Ende! Und nein, man kann wirklich nicht behaupten, dass Tom Wus Albumpromo überall gleich gut angekommen wäre. Stinksauer waren einige der Kommentierenden („geschmacklos“, „nicht cool“ u.a.) gar, zum Beispiel auf Facebook, wo Wu seine Ableben öffentlich machte. Verstörend kann man das auf alle Fälle finden, oder auch, egal… Tom Wu ist ein, wenngleich auch noch nicht „legendärer“, so zumindest ein ganz besonderer, womöglich sogar ein besonders wertvoller Münchner Musiker (u.a auch Kamerakino, Parasyte Woman, Das Weiße Pferd, What Are People For?), der mit seinem neuen Album wieder mal gekonnt die Grenzen zwischen Elektro, Avantgarde und Pop neu auslotet. Es halfen: Anna McCarthy, Paulina Nolte, Manu Rzytki, Pico Be, Gringo und Anton Kaun.
Miriam Hanika - Wurzeln & Flügel
Mit anmutigen Texten und ihrem warmen Oboenton, wie man ihn sonst vielleicht nur in einem Symphonieorchester erwarten würde, singt und spielt sich Miriam Hanika, mal solo, mal mit Band und/oder Streichquartett, emotionsgeladen und virtuos erst in die Ohren und später auch in die Herzen der Zuhörenden. Die liedermachende, studierte Oboistin, Pianistin und Virtuosin am Englischhorn setzt als Multiinstrumentalistin neue Maßstäbe und überschreitet dabei nur allzu gerne bekannte Genre-Grenzen. Die Songs auf ihrem neuen Album, welches, wie auch schon der Vorgänger, auf Konstantin Weckers Sturm & Klang-Label erscheint, sprühen vor Ideenreichtum und wärmen die Seele und das Gemüt mit zärtlichen Klängen irgendwo zwischen Weltmusik, Chanson, Klassik und Pop.
Henny Herz - Two Colors To Combine
Obergriesbach, echt jetzt? Da nämlich hat die gebürtige Münchnerin Henny Herz ihr neues Album aufgenommen. Dabei klingt das nach New York, Paris, London, wenigstens aber Los Angeles, von mir aus auch Montreal, wo die 29-jährige Singer/Songwriterin sich zur Zeit aufhält. Egal, Laura Gibson kommt einen sofort in den Sinn, aber auch Feist, Courtney Barnett, Mira Lu Kovac, Cat Power, Anna Erhard und all die anderen erstklassigen Frauen der internationalen Indieszene. Also ehrlich, was für ein unglaubliches, herzerwärmendes, die Seele und die Sinne gleichermaßen tröstendes und betörendes, tolles Album ist das denn geworden?! Aber gut, Henny Herz ist musikalisch, selbst für Münchner Verhältnisse, ausgesprochen gut sozialisiert, was ihre Kooperationen mit Angela Aux, Gerd Baumann u.a. deutlich zeigen. Klarer Fall: schockverliebt! Eine ganz heiße Kandidatin für das „Heimspiel des Jahres 2023“.
Autor: Gerald Huber