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Best of Heimspiel 2022

Die Münchner Alben des Jahres von Sportfreunde Stiller, Malva, Ströme, What Are People For?, INGA, JazzRausch BigBand, Lauraine, Elena Rud, Nikolaus Wolf und Quirinello
Die Münchner Alben des Jahres von Sportfreunde Stiller, Malva, Ströme, What Are People For?, INGA, JazzRausch BigBand, Lauraine, Elena Rud, Nikolaus Wolf und Quirinello © Labels

Die Münchner Alben des Jahres von Sportfreunde Stiller, Malva, Ströme, What Are People For?, INGA, JazzRausch BigBand, Lauraine, Elena Rud, Nikolaus Wolf und Quirinello

1.) Sportfreunde Stiller - Jeder nur ein X

Liest man das X wie „Kreuz“, dann fühlt man sich natürlich sofort an den Monty Python-Gag aus „Das Leben des Brian“ erinnert, an den die Sportfreunde ihren Albumtitel wohl angelehnt haben. Mein absoluter Favorit gleich an zweiter Stelle: „Hand in Hand“. Mal ganz abgesehen von der Fugazi-Bassline, danke Rüde, der Grunge-Gitarre, danke Peter, und dem ekstatisch-enthusiastischen Beckengeschepper und Snare-Gerolle, danke Flo. Auch der Text ist wieder so einer, der uns alle daran denken lassen sollte, dass wir es nur gemeinsam schaffen, all den Scheiß zu bewältigen. Die Sportfreunde waren schon immer Versöhner, Tröster, Ratgeber, Wandler zwischen den Genres, Brüder im Geiste, treue Begleiter, immer welche von uns, gute Bekannte, vielleicht sogar Freunde. Wie oft ich sie schon live gesehen habe, wie oft ich vor Rührung schon Tränen in den Augen hatte, wenn sie vor - sagen wir wie damals in der ausverkauften Olympiahalle - 12.000 Menschen ihre Hits spielten. Oder vor mehr als 30.000 Menschen bei Rock im Irgendwo… Zuletzt durfte ich im Circus Krone mit dabei sein: Es war ein Heimspiel der allerbesten Sorte! Singen, schwitzen, glücklich sein. „Jeder nur ein X“ ist für mich mehr als nur das allerallerbeste Album der Sportfreunde Stiller alleraller Zeiten, es ist ein Manifest der Menschlichkeit, der Freundschaft, der Überwindung, des Weiter-immer-weiter und ein womöglich letzter kleiner Hoffnungsschimmer, weil, nicht vergessen: „Ich scheiß’ auf schlechte Zeiten!“ (30.6. Tollwood Musik-Arena, Tickets)

2.) Malva - Das Grell in meinem Kopf

Das mit dem Eigenlob ist ja so eine merkwürdige Sache, aber hier in der Redaktion galt Malva schon zu Beginn des Jahres als eine der Top-Musik-Newcomerinnen unserer Stadt. 2022 stand da in unserem Jahresvorausblick „…wird das Jahr von Malva, weil derzeit niemand so wunderschön über die Traurigkeit, die Verletzlichkeit und die Verzweiflung, dennoch aber immer wieder auch über das Schöne am und im Leben und das Gute in den Menschen singt, wie sie.“ Tja, was folgte war ein Plattenvertrag mit dem renommierten Trikont-Label und Lobeshymnen auf ihr Debütalbum, welche von „erstaunlich“ (Rolling Stone) über „stark“ (RBB Radio Eins) und „beeindruckend“ (SZ) bis hin zu „außergewöhnlich“ (Bremen Zwei), reichten. Zudem wurde Malva Anfang Dezember vom BR2-Zündfunk zu einem der legendären „PunschKonzerte“ eingeladen und durfte sich darüberhinaus freuen, vom Goethe-Institut in dessen „Popcast“ aufgenommen zu werden, wo sie seither auch aus dem Ausland sehr viel Zuspruch erhält. Wie auch immer, wir hatten wohl recht, 2022 war das Jahr von Malva… Mögen viele, viele weitere folgen! (24.2. Milla, Tickets)

3.) Ströme - Ströme Nr. 2

Ströme die Zweite also. Pragmatischer Albumtitel, gefällt mir. Auch deswegen, weil Mario Schönhofer (eigentlich Profi-Bassist) und Tobias Weber (eigentlich Profi-Schlagzeuger) ein durch und durch aussagekräftiges, charaktervolles, einfühlsames, wohlig wärmendes und dennoch höchst energetisches Electro-Werk geschaffen haben. Im Zentrum dabei der ebenso rare wie sagenumwobene `Moog IIIp Modular´-Synthesizer-Sound. Überhaupt sind es die analogen Synthie-Klänge, die einen mal an Kraftwerk, mal an Alphaville erinnern. Dennoch: Ströme sind einzigartig, auch, weil sie mit dem Ex-Franz Ferdinand-Member und Lunsentrio-Anführer Nick McCarthy einen prominenten Gast mit dabei haben, der - recht maßgeblich - gleich bei drei famosen Tracks (“Right Now”, “Das Modul”, “Stadlberg”) sein Können (sowie Stimme und Gitarre) mit einbrachte. Ihrem Label Compost sei Dank, dass diese geile Mucke nun wiedermal einer größeren Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

4.) What Are People For? - Dito

Diese grundlegende Frage stellen sich derzeit ja einige: Wofür sind Menschen da? Die Antwort fällt schwer, nicht nur heutzutage. Wir vom IN lieben das neueste Projekt von Anna McCarthy und Manuela Rzytki, die im unschlagbar guten Team für die drängenden, nörgelnden, sezierenden Art-Punk-Songs und die bärenstarke Produktion verantwortlich zeichnen. Unterstützt werden sie bei ihrer dystopischen Tanzmusik, der man unterstellt, sie wäre „das unerlaubte Liebeskind von Tom Tom Club und Throbbing Gristle“, von Paulina Nolte (Backgroundgesang) und Tom Wu (Schlagzeug). Dunkel, provokativ, ätzend, immer aber auch hinreißend.

5.) Inga - Took The Wrong Way Home

Wer schon mal das Vergnügen hatte mit den beiden Trikont-Labelbetreiberinnen über Inga zu reden, der weiß wie viel Liebe und Herzblut die beiden in ihre Künstlerin stecken. Was aber andersrum auch wieder kein Alleinstellungsmerkmal ist, da Eva Mair-Holmes und Brendan Erler diese Hingabe für all ihre Künstlerinnen und Künstler an den Tag legen, sh. auch Malva. Inga nun verzaubert dennoch auf ganz besondere Art und Weise, weil ihre DIY-Mischung aus Minimal-Electro und 80s-Synth-Pop so selbstverständlich und unspektakulär daherkommt, das man diese einfach nur lieben kann. „Inga will nichts sein und macht damit so viel“ heißt’s im Info und dabei singt sie - mal auf Deutsch, mal auf Englisch - gleichermaßen von den Krisen und dem kriselnden Zeitgeist, von der Aussicht auf mildere Gefilde und von ihrem Camper.

6.) Jazzrausch Bigband - Alle Jahre wieder!

So muss Weinachten 2022 klingen. Und nicht anders… „Wir hatten eine Fetzngaudi“ wird Bandleader Kilian Sladek im Info zitiert. Und fürwahr, das hört man. All der Besinnlich- und Befindlichkeits-Nonsens wird freigeistig - im wahrsten Sinne des Wortes - weggeblasen. Zugleich ist „Alle Jahre wieder!“ Aber freilich auch eine hinreißend-schelmische Hommage an die ganz Großen der weihnachtlichen Bigband-Geschichte. Dabei ist diese unglaubliche, diese mitreißende Mischung aus purer Energie und ungetrübter Lebensfreunde ebenso verblüffend wie ansteckend.

7.) Lauraine - dito

Schon beim ersten Song dieser EP wird einem sofort klar, mit welch einem großen Talent Laura Glauber gesegnet ist. Es ist eine fantastische Stimme, die sowohl von der Intonation wie auch in der Aussprache (auf Englisch) locker internationalen Ansprüchen gerecht wird. Die Basis auf der sich die Münchner Sängerin dann bewegt, ist eine elektronisch-poppige, die keine Angst vor den ganz großen Pop-Momenten kennt, was mit unter auch an den herausragenden Kompositionen und der überaus gelungenen Produktion liegt. Selbstbewusst und voller Überzeugung bewegen sich Lauraine dabei stilsicher zwischen Pathos und Poesie, Emotion und Empowerment. Lauraine ist das Synth-Pop-Projekt von Laura Glauber, bei dem sie von männlichen Musikern begleitet wird, was sie aber keineswegs daran hindert vehement für Feminismus, weibliche Ästhetik und sehr viel mehr Diversität in der Musikbranche einzutreten. Auch Lauraine hatten wir auf dem Zettel, als Newcomerin für 2022, mit der Begründung „…weil es Zeit wird das Thema Inklusion neu und zudem viel weiter als bisher zu denken, und weil sie musikalisch noch so viel in petto hat, dass es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis selbst die taubsten Talentscouts der großen Plattenfirmen ihr ein lukratives Angebot unterbreiten werden.“ Das mit dem Plattendeal hat sich bislang unseres Wissen nicht ergeben, aber ihre Releaseshow im Ampere war uns allen ein großes Fest…

8.) Elena Rud - Angst

Zwischen Ausbruch und Besinnung, Verzweiflung und Selbstironie, Festivalbühne und einsamer Badewanne lebt Elena Rud. Ihre EP handelt vom unbe- und geliebten Teenager mithin also all jenen, die immer vergessen wurden. Jene, die stets als letzte beim Sport in eine Mannschaft gewählt wurden und sich viel zu lange wie der Plan B gefühlt haben. Mit 15, so Elena Rud, „wollte ich nicht mehr … Aber ich bin immer noch da.“ Weswegen auch die hier enthaltene Single „I am right here“ keine Tragödie sondern viel mehr ein Neubeginn darstellt. Die Singer/Songwriterin wird bei ihren musikalischen Unternehmungen von einer vierköpfige Band begleitet, die sie ihr „Rudel“ nennt. Zusammen produzieren sie innovative und tanzbare Popmusik, bei der Elenas markante Stimme im Mittelpunkt steht, eingerahmt von Sounds aus Indie-Rock und Synth-Wave. „Melancholic Love Shit“ ist die Formel für die Texte all ihrer Lieder, sagt sie. Rud und ihre Band wehren sich so gegen toxische Ideale, an denen sie selbst gemessen werden: „Für mehr Schwäche, Unsicherheit und Glitzer-Makeup anstatt Dominanz, Unterdrückung und Aggression!“ Ganz wunderbar ist das…

9.) Nikolaus Wolf - The Birds Of Desert Sun

Auch wenn ihn das Reeperbahnfestival als „Weird Guy From Bavaria“ ankündigt, klingt Michi Rieder alias Nikolaus Wolf gar nicht so sehr nach seiner bayerischen Heimat. Eher würde man seinen Mix aus 60-Psy-Rock, 70s-Neo-Folk und 90s-BritPop eher nach London oder San Francisco verorten, was mitunter auch an seiner akzentfreien englischen Aussprache lieget. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet ihn mal als „Chamäleon der Popmusik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, und eine gewisse Sympathie zu Liam Gallagher oder John Lennon lässt sich dabei definitiv nicht überhören. Ganze fünf Jahre hat es jetzt gedauert, ehe Nikolaus Wolf endlich mit neuem Material aus den Startlöchern kam. Viel hat der Rieder Michi in der Zeit erlebt, wurde zum zweiten Mal Vater und überstand eine Tumorerkrankung. Und davon künden nun auch die Songs von „The Birds Of Desert Sun“. Es ist ein Aufbruch in dunklere, ernstere Ecken. War sein Debüt noch eher im heiteren Indie-Singer/Songwriter-Folk verwurzelt, geht es auf dem neuen Album wesentlich rougher und kantiger zu, eine musikalische Reise von der Themse über Brooklyn bis in die Weiten der Mojave-Wüste inklusive. Und so wähnt man sich bei dieser Platte auf einem ausgelassenen Klassentreffen bei dem die Rolling Stones ebenso zu Gast sind wie The Kinks, Velvet Underground und natürlich Tom Petty und Oasis.

10.) Quirinello - MelancholyMe

Hübsch, das Cover in zartem lillarosablassblau. Gatefold, Ehrensache. Drinnen: Knalltürkises Vinyl, Farb-Typ: Walchensee. Match! Und musikalisch so? Geil! Übrigens auch live, wie sie im gut besuchten Strom bei ihrer Plattentaufe nachdrücklich unter Beweis stellten. Quirin „Quirinello“ Müller mischt gekonnt frühen 80er-Wave mit 90er-Indiepop und läßt auch den Funk-Appeal und Prog der 00er-Jahre nicht außen vor. Seine Stimme ist dabei kratzig, stets aber in sich ruhend und obendrein ausdrucksstark. Die fröhlich-verspielten Keyboards bilden zusammen mit der akkuraten Bass-Schlagzeug-Sektion eine satte Basis für die sägenden Indierock-Gitarren. Beim Song „Ugly Mondays“ ist der ebenfalls hochtalentierte Telquist zu Gast und der „Fuckboy Song“ - was für ein grandioser Titel - erinnert ganz weit entfernt, also ein ganzkleinbissi an die Intension von Liquidos „Narcotic“. Von dem her: Rock On Quirinello! Wir sind gespannt was als nächstes kommt.

Hier geht’s zu den Münchner Songs des Jahres 2022 auf Spotify.