S.O.S. Plastikfrei - Abgeschafft statt abgefüllt?

Mehrere Plastikfrei- und Unverpackt-Läden in München und Umgebung müssen schließen, die Bundes- und Kommunalpolitik sieht weiterhin tatenlos zu.
„Der Unverpackt-Laden in Zorneding steht vor dem Aus“ steht auf der Website der genossenschaftlich geführten „DEINE alternative eG“. Und es wird darum gebeten zu spenden und dafür geworben doch in den Laden zu kommen und einzukaufen… Es ist der traurige Alltag für viele Plastikfrei- und Unverpackt-Läden in Deutschland, Bayern und ja, auch in München und Umgebung.
Denn, auch Evi’s-ab.ins.Glas in Gilching geht es nicht gut, und auf Instagram schreibt Eva Thoma dazu die folgenden herzzerreißenden Worte: „Erst war es nur ein Kindheitstraum. Ein eigener Laden. Dann das Thema, regional-plastikfrei-unverpackt. Es ließ mich nicht mehr los. Das ist es! Genau das will ich machen! 6 Monate Recherche/Sortiment, 3 Monate Ladenbau, Eröffnung Juli 2020. Ich war so glücklich! Es lief vom ersten Tag an fantastisch ... bis Pfingsten 2022. Jetzt frisst mich die Krisensituation auf. Aber kein Tag war umsonst. Alles würde ich genauso wieder machen!“ Ja, da muss man erstmal schlucken, während man sich zur Website weiter klickt, wo es dann schwarz auf weiß noch etwas förmlicher formuliert steht: „Leider ist die Mehrheit nicht oder noch nicht für ein Umdenken bereit und es ist mit einem kleinen Stammkundenkreis leider in der heutigen Lage nicht möglich ein regionales Geschäft aus eigenen Mitteln zu finanzieren und am Leben zu halten. Die Preise für Energie und nachhaltig und regional produzierte Lebensmittelrohstoffe, die unsere Lieferanten benötigen sind unverhältnismäßig gestiegen. Eine vertretbare Preisgestaltung war somit nicht mehr möglich. Davon abgesehen geben auch einige unserer direkten Lieferanten und Hersteller ihre Produktion aus denselben Gründen auf, was uns schwer getroffen hat.“
Mittlerweile in München angelangt, stellt man fest, dass auch WestendPUR an Weihnachten sein Pforten geschlossen hat. Und auch das sympathische Trio aus der Heimeranstraße hatte hehre Absichten: „Unseren Kindern und den zukünftigen Generationen eine schöne Welt mit intakter Natur und guten Lebensbedingungen zu hinterlassen, ist uns sehr wichtig und hat uns über die Jahre zu immer bewussterem Konsum geführt. Seit einigen Jahren decken wir unseren täglichen Bedarf mit Produkten, die möglichst plastikfrei und unverpackt eingekauft werden können. Damit es alle, die diesen Weg gehen wollen, etwas leichter haben, brauchen wir Unverpackt-Läden an jeder Ecke! Unser Laden im Münchner Westend ist unser Beitrag dazu.“ Und auch ihnen bleibt am Ende nur die traurige Gewissheit zu verkünden: „Wir sind sehr unglücklich darüber euch mitteilen zu müssen dass auch wir unseren Laden schließen. Es war uns eine Herzensangelegenheit für euch da zu sein und euch bei euren Unverpackt-Einkäufen zu unterstützen. Dennoch ist die wirtschaftliche Situation so schwierig, dass ein Weiterführen des Ladengeschäfts nicht mehr möglich ist.“
Vor ein paar Wochen dann auch aus Schwabing respektive Haidhausen ein Notruf: Der OHNE-Supermarkt, der sowohl eine Filiale in der Schelling- wie eine andere in der Rosenheimerstraße hat, bittet zum Crowdfounding: „Seit 2015 setzen wir Zero Waste Impulse… Kurze Wege, transparente Wertschöpfungsketten, plastikfrei und müllreduziert Einkauf… Wir sind überzeugt, dass der Einkauf der Zukunft unserem Konzept entspricht. Bedarfsgerecht, ressourcenschonend, biologisch, die Umwelt immer an vorderster Stelle. Nach drei Jahren Krise merken wir, dass es mit reinem Elan nicht mehr weitergeht. Die krisenbedingten Einbrüche haben unser vormals gut laufendes Geschäft sehr geschwächt.“ Das Ergebnis: Ca. 8000 € von knapp 100 Unterstützer:innen, binnen einer Woche wohlgemerkt… Immerhin, ein kleiner Lichtblick, wenngleich der Antrieb pure Verzweiflung ist. Und wie demütigend am Ende, betteln zu müssen, nur weil die Gesellschaft, entweder nicht bereit (oder - oftmals auch nur gefühlt - finanziell) nicht in der Lage ist, eins und eins zusammenzuzählen. Weswegen es geboten erscheint darauf hinzuweisen, dass nicht alle Plastikfrei- und Unverpackt-Läden per se immer auch gleich (zu) teuer sind. Aber ja, bei Produkten, die so lokal, fair und nachhaltig wie möglich hergestellt wurden, ist ein gewisser Preis einfach unabdingbar.
Ein weiterer Hilferuf ereilte die interessierte Öffentlichkeit schon Anfang September, als die Süddeutsche Zeitung sich zum Gespräch mit einer Sprecherin des genossenschaftlich geführten Unverpackt-Ladens in der Willibaldstraße an der Grenze zwischen Laim und Pasing traf. „Wir rennen von einer Krise in die nächste“, wurde da Evi Piehlmeier zitiert. Sie treibt, wie alle anderen auch, der Umstand um, dass die Kosten zu hoch und der Umsatz zu gering sind. Letzteres liegt eben am oftmals sehr geringen Zuspruch für das Gute, Wertige, Faire und Nachhaltige, einer womöglich vom Neo-Kapitalistischen völlig überforderten Gesellschaft, die es scheinbar verlernt hat, kurz mal innezuhalten, nachzudenken um dann eine rationale und vernünftige Kaufentscheidung zu treffen. Ersteres, also die Kosten, hat mehrere Gründe: Personal z.B. In einer mehr oder weniger durchgentrifizierten Stadt wie München muss man schon ein bisschen was verdienen, um sich das Leben hier noch leisten zu können. Dann haben viele Zulieferer die Mindestbestellmengen nach oben gesetzt, was in sich völlig unlogisch erscheint, und den Unverpackt-Läden unnötig zu schaffen macht und am Ende nur zu einem führen kann: Dem notgedrungenen Aus für alle Beteiligten. Hinzukommen steigende Energiepreise, die Inflation, die Mieten und eine Politik, die all dem tatenlos zusieht.
Kommunalpolitischer Wille? Fehlanzeige!
Denn, abgesehen von einem schneidigen Online-Auftritt auf zerowaste-muenchen.de, ist weiterer politischer Wille, zumindest in München, scheinbar Fehlanzeige. Dort, also auf der Website, findet man dann immerhin vollmundige Absichtserklärungen wie diese: „Das Zero-Waste-Konzept bildet bis 2035 den Handlungsplan zur Abfallvermeidung in München und ist an drei übergeordneten Zielen ausgerichtet: 1. Haushaltsabfälle um 15 Prozent pro Kopf reduzieren – von 366 kg auf 310 kg. 2. Restmüllmenge um 35 Prozent pro Kopf reduzieren – das Einsparpotenzial liegt an dieser Stelle bei knapp 70 kg pro Münchner*in. 3. Münchner*innen für Zero Waste sensibilisieren.“ Sehr gut, nichts einfacher als das, also los! Doch wie soll das gehen?
Ein paar Ansätze liefert der eng mit der Stadt verbandelte rehab republic e.V., mit allerlei Workshop-Angeboten (zu Transformation, Zero Waste, Ernährung), Cleanup-Events, Aktionstagen… Doch auch wenn man einigermaßen affin für das Thema ist, bislang hat man nur sehr wenig bis gar nichts von alldem mitbekommen. Und die berechtigte Frage sei erlaubt, was davon denn nun wirklich Früchte trägt? Auch die Anti-Plastik-Kampagne auf den ca. 350 AWM-Müllautos, die täglich durch unsere Stadt fahren. Was die wohl gekostet haben mag? Die Models, die Agentur, all das… Und was hat sie gebracht, wie viel Plastik wurde dadurch effektiv eingespart? Zu guter letzt noch die Grünen: Diese feiern - wieder besseren Wissens - die Einführung der Gelben Tonne in München. Wobei man wissen könnte, dass die Recyclingquote für Kunststoff bei etwa 8 % liegt. Zum Vergleich: Alu, Papier und Glas liegen weit jenseits der 90 %. Man sehe sich hierzu nur die sehr aufschlussreiche ARD-Doku „Die Recyclinglüge“ in der Mediathek an. Und eine Stadträtin der Partei schreibt auf Facebook, dass mit einer „Zero-Waste-Card … Anreize zum unverpackt einkaufen“ gesetzt werden sollen. Und weiter: „Das wird konkret bei den Unverpackt-Läden ankommen.“ Leider ließ sich auch bei der größten Suchmaschine der Welt nichts dazu recherchieren. Und bisher, so das traurige Zwischenfazit, kam es den bereits geschlossenen und den von der Schließung bedrohten Plastikfrei-Läden offensichtlich noch nicht zugute. Aber: „wird“.
Nichts „wird“
Das wiederum darf bezweifeln werden. Nichts „wird“, einfach so. Denn, fangen wir mal bei der Bundespolitik an. Sven Kindler (ebenfalls Die Grünen) etwa behauptete noch im Mai 2019 im WDR: „Plastikprodukte, Plastiktüten, Plastikverpackungen werden aktiv von der Bundesregierung mit Steuergeld subventioniert, und zwar mit 780 Millionen Euro jedes Jahr“ (Quelle). Hinzukommt, dass Unverpackt-Läden, die keine Genossenschaft sind, voll besteuert werden. Ganz so wie andere, gar nicht so umweltfreundliche Unternehmen, etwa ein Autohändler oder eine Fast-Fashion-Boutique. Und das, obwohl niemand, der bei klarem Verstand ist, den Plastikfrei- und Unverpackt-Läden eine gewisse Gemeinnützigkeit im Sinne des Gemeinwohls (vgl. Umweltschutz) absprechen wird.
Guter Wille ist erkennbar, auch politisch. Doch meistens sind es - wie allgemein üblich, wenn es um Umweltproblematik geht - nur Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen, die vordergründig gut bei den Wählerinnen und Wählern ankommen. Jenen also, die das grundsätzlich schon auch alles ganz dufte finden, dann aber halt doch lieber wieder Industriefleisch essen, mit dem Flieger in den Urlaub düsen oder in den großen Discountern und Drogeriemärkten ihren (überwiegend in Plastik verpackten) Einkauf erledigen. Allerdings, die Umsetzung jenes guten politischen Willens, ist mehr als fragwürdig, denn anstelle von schicken Werbekampagnen und nutzlosen Websites, sollte die Unterstützung vielleicht endlich mal da ankommen, wo sie hingehört, nämlich bei den kleinen, visionären Plastikfrei- und Unverpackt-Läden, die - wie im Fall von Heidi Triskas „abgefüllt & unverpackt“ in der Fraunhoferstr. 23 - auf 20 qm im Jahr bis zu 1,5 Tonnen Plastikmüll aktiv vermeidet. Hier zeigt sich im Klitzekleinen, was im Großen möglich wäre. Aber auch sie kämpft mit den eingangs erläuterten Umständen, und kann sich zeitweise kein angemessenes Gehalt auszahlen.
Was bleibt ist die Hoffnung, dass die Politik sich dieses Dilemmas annimmt und endlich ernsthaft darüber nachdenkt, wie man die oft sehr kleinen, inhabergeführten Läden zweckdienlich unterstützen kann. Laut Grünen-Stadträtin Julia Post investiert die Stadt München „ca. 2 Mio € für Abfallvermeidung & Kreislaufwirtschaft“, bei den Plastikfrei- und Unverpackt-Läden ist nicht ein Cent davon angekommen. Hier wäre eine Teilhabe dringend wünschenswert und oft auch überlebenswichtig. So könnte man über Steuererleichterungen für Minimalverdiende in der Nachhaltigkeitsbranche nachdenken, womit diesmal auch ausdrücklich die herstellende und produzierende Zunft mitgemeint ist. Es muss darüber diskutiert werden, ob von öffentlicher Hand (Kommune) solchen, dem Gemeinwohl dienenden Kleinstunternehmen - vergleichbar etwa mit der Kulturförderung - unbürokratisch Finanzhilfen bereitgestellt werden können. Sei es mit einer nicht rückzahlbaren Existenzgründerzulage, regelmäßigen Mietkostenzuschüssen, finanzieller Unterstützung bei Energie- und Personalkosten. Oder eben auch ganz pragmatisch und praktisch (und München spezifisch) mit kostenloser Werbung auf muenchen.de, auf den Müllautos der AWM-Flotte, auf den Screens in den U-Bahnen oder ganz plakativ in den, den Läden jeweils am nächstgelegenen, U-Bahnhöfen. Zurück zum schönen Wörtchen „wird“. Wird, wie die letzten Jahre über, nichts passieren, wird es für viele Unverpackt-Läden zu spät sein.
Autor: Gerald Huber - Beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit den Themen Kreislaufwirtschaft, Mehrweg und (Plastik-)Müllvermeidung, zudem ist er liiert mit Heidi Triska, Inhaberin des abgefüllt & unverpackt-Ladens in der Fraunhoferstraße 23.