Neue Alben von The Burning Hell, Metric, Viagra Boys und Journey

Die Classic-Rocker Journey zeitlos, The Burning Hell eklektisch, Metric überwiegend bombastisch und die Viagra Boys mit formidablem Post-Punk
The Burning Hell - Garbage Island
Kanada die Erste: Ja, super Titel. Die ganze Welt eine Insel voller Müll: Plastik, Hundescheiße, Elektroschrott, vielleicht sogar Menschen, egal, sucht euch was aus… Dazu geht’s gleich sehr treffend mit „No Peace“ los, das gut und gerne auch von Bill Callahans Smog oder The Go-Betweens stammen könnte. Fünf Jahre nach dem sehr gelungenen „Revival Beach“ kehrt das kanadische Antifolk-Konglomerat um Bandleader Mathias Korn also endlich sehr hörenswert zurück. Etwa mit der XTC-Hommage „Nigel The Gannet“ oder dem zwischen 60s-psychedelisch und 70s-punkig aufrockenden „Birdwatching“, das entfernt an R.E.M. „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ erinnert. Exzellent auch der sonnentrunkene Calypso-Folk von „Dirty Microphones“ und das riff-rockige „Empty World“, das sich hörbar an Devo oder den B-52s orientiert. Die minimale Akustik-Ballade „Minor Characters“ weiß ebenso zu verzaubern wie der lässige Spaghetti-Western-Country von „All I Need“. Es folgen das ebenso stimmungsvolle wie träumerische „Swan Boat“, das elektronische, maßgeblich von einer funky Triangel nach vorne gepeitschte „Bird Queen Of Garage Isalnd“, das düster-progressive „Speachlessness“ und zu guter letzt auch noch die hinreißende Kinderlied-meets-Ukulele-Ballade „The End Of The End Of The World“. Jetzt hat man mal so einen kleinen Überblick, über die Vielseitigkeit und die ungebremste Spielfreude von Korn und seinen Gefährtinnen, darunter etwa die bezaubernde Ariel Sharrat, die für gehobene Zweistimmgkeit in den Gesängen sorgt. Ich mag das sehr!
Metric - Formentera
Kanada die Zweite: Der Opener „Doomscroller“ ist laut Frontfrau Emily Haines eine vertonte „Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd durch das wilde Terrain des modernen Lebens.“ Und schon wahr, die zehnminutige Klangreise drückt einen fett in den Sessel mit seinem fiebrigen Electro-Beat, seiner schier unglaublichen Intensität und der hypnotischen Getriebenheit, immer wieder unterbrochen von abgehoben, progrock-artigen, in sich ruhenden Parts. Die discoide Mittempo-Ballade „All Comes Crashing“ ist ein ungewöhnliches Liebeslied, das weit über die Romantik hinausgeht. Eher geht es um Solidarität, die man sich - von wem auch immer - wünscht, wenn man sich in einer Notlage befindet. Dies so Haines könne „dein bester Freund sein, dein Blutsbruder oder dein Hund. Der Song ist denen gewidmet, die du als deine Familie betrachtest, wie auch immer das für dich aussehen mag.“ Der Albumtitel bezieht sich ziemlich direkt auf die beliebte Nachbarinsel Ibizas, die für die Bandmitglieder angeblich ein „Traumziel“ darstellt. Was daher rührt, das das Quartett im Aufnahmestudio in Toronto festsaß und während den Recordingsessions einen Reiseführer entdeckte, der sich mit der Baleareninsel beschäftigte. Dazu Gitarrist James Shaw: „Wir haben lange Zeit in unserer Fantasie gelebt, weil wir physisch nirgendwo anders hingehen konnten.“ Und Sängerin Haines fügt hinzu: „Wir kamen zu der Erkenntnis, dass es gar nicht mehr um einen konkreten Ort ging, sondern darum, sich in Gedanken eine Fluchtmöglichkeit zu schaffen, weil man über so viele Dinge machtlos ist.“ „Formentera“ hat trotz allem Bombast Schwächen und Längen, dennoch aber ist es ein Electro-Rockalbum, das Mut macht und ein klein wenig Zuversicht mit sich bringt, in Zeiten der Dystopie.
Short Cuts:
Journey - Freedom
Die Freiheit also. Wünschen sich doch alle, ohne wirklich genau benennen zu können, was das denn eigentlich ist oder wie sich das anfühlen soll. Die eigene Freiheit hört in jedem Fall schon mal da auf, wo sie die Freiheit der anderen bedroht, nicht da wo die Neo-Liberalen das immer gerne hätten: Ich, ich, ich … und die anderen? Mir doch egal! Bandleader und Gitarrist Neal Schon, der immer noch so klingt wie für 40 oder 50 Jahren, und seinen Journey zu unterstellen, sie wären so jemand niederträchtiges, unvorstellbar. Also ist wohl eher das Klischee der ehrlichen, der naturverbundenen Freiheit gemeint: Weite Täler, grüne Wälder, schneebedeckte Berge, still daliegende Seen. Ein hungriger Grizzly von links, das zarte Bambi von rechts: Mampf! Journeys hymnischer Mix aus Classic- und ProgRock ist für Genre-Freunde so zeitlos wie der sich niemals erfüllende Traum von grenzenloser Freiheit. Trotz allem ein schöner Nostalgieflash.
Viagra Boys - Cave World
Herrlich. Endlich mal wieder die von literweise Whiskey und Zigarettenrauch verätzten Stimmbänder von Sebastian Murphy zu hören. Eigentlich will man sich ständig räuspern oder wenigstens ein fruchtiges Lutschbonbon einwerfen, hilft aber alles nix… Letztes Jahr war kein gutes für die Boys, denn Gitarrist Benjamin Vallé verstarb mit nur 47 Jahren, die Todesursache bis heute - zumindest offiziell - unbekannt. Nun setzen die verbliebenen Bandmitglieder ihrem Gründungsmitglied ein hörenswertes Denkmal, das sich wie gewohnt im gehobenen Post-Punk-Spektrum abspielt.
Autor: Gerald Huber