Neue Alben von Paolo Nutini, Jochen Distelmeyer, Imagine Dragons, u.a.

Ex-Blumfeld-Frontmann Jochen Distelmeyer brillant, Paolo Nutini exzellent und die Imagine Dragons machen Hintergrundmusik für die Großstadt-Stranddisse
Jochen Distelmeyer - Gefühlte Wahrheiten
Die sogenannte Hamburger Schule? Undenkbar ohne den gebürtigen Bielefelder Jochen Distelmeyer. Er und seine Blumfeld sorgten damals, nach dem Ausverkauf der NDW, zusammen mit Tocotronic, Bernd Begemann und Die Sterne für frischen Wind in der deutschsprachigen (Indie-)Rock- und Popmusik. Ich erinnere mich noch heute sehr gerne daran, und bin ausnahmsweise auch mal ein klein wenig stolz, dass ich zusammen mit einem Freund, mit dem ich eine Hobby-Konzertagentur hatte, Blumfeld damals mit ihrem Debütalbum „Ich-Maschine“ in die Kulturstation nach Oberföhrung holen konnte. Ausverkauft, eh klar. Und Distelmeyer und Kollegen, schliefen seinerzeit privat bei einem Bekannten von uns. Schön war’s! Und: Schön isses, denn der Pop-Connoisseur Jochen Distelmeyer hat mit „Gefühlte Wahrheiten“ ein weiteres wunderschönes Stück deutsche Popmusik geschaffen. Geht gleich fantastisch los, mit dem schwer emotionalen, sich genial steigernden „Komm (So nah wie du kannst)“ inklusive lärmigem Gitarrenexzess im Finale. Danach wird’s poppiger und man kann auch schon wieder Distelmeyers Faible für Bands wie Prefab Sprout, oder ja, auch die Münchner Freiheit erkennen. „Nur der Mond“ ist dann eine poetische Lagerfeuer-Akustik-Ballade, die, wer mag, mit seinem leichten Blues-Flavour, auch als Reminiszenz an den unvergessenen Heiner Pudelko hören kann. Auch „Gone Girl“, das den englischsprachigen Block eröffnet, kommt eher gemächlich (und akustisch) daher und erinnert genauso wie „Roads Of Regnet“ an die US-Singer/Songwriter-Tradition eines Ryan Adams meinetwegen. Countryesk und schunkelig dagegen „The Reason“, für mich der schwächste Song des Albums. „Manchmal“ dagegen ist so brutal ehrlich, aufwühlend und vereinnahmend, das einem fast die Spuke wegbleibt und ein Klos im Hals schwillt, denn: „Manchmal hab ich noch Hoffnung, manchmal fehlt mir der Mut. Manchmal bin ich gefangen zwischen Trauer und Wut…“ Den Abschluss macht dann das überaus versöhnliche, geradewegs bezaubernde, ebenso melancholische wie jede und jeden mit einbeziehende „Ich sing für dich“. Vielleicht ja mal eine (mutige) Idee für den nächsten ESC, zwar kaum zu erwarten in einem Land, das seit Jahren mit qualitativ gar nicht so schlechten, dennoch aber meist recht belanglosen Songs den letzten Platz für sich beansprucht. Wie auch immer, ich fänd’s super… denn Distelmeyer ist es ernst, wenn er singt: „Ich sing für dich wenn du so willst, vom Ende der Gewalt. Ich sing von Anmut und Geborgenheit, auch wenn es komisch klingt. Wenn ich so davon sing, ist alles was ich sing, für dich gemeint.“
Paolo Nutini - Last Night In The Bittersweet
Ja leck: Acht Jahre hat Paolo Nutini nix mehr von sich hören lassen. Entschieden zu lang. Obwohl, vielleicht knallt sein neues Album deswegen gleich doppelt gut. Schon bei den ersten beiden Singles hat man erfreut die Ohren gespitzt. Zu genial gleich das, nun ja, irgendwo zwischen Krautrock, 60s-Psychedelia und The Strokes changierende „Lose It“. Es folgte die samtige, leicht rauchige, im Peak höchst emotional gesungene Soul-Ballade „Through The Echoes“. Bei „Shine A Light“ klingt Nutini nach einer Mischung aus bekifftem Bryan Adams und einem sanftmütig schlaftrunkenen Iggy Pop, begleitet von beseelt und introvertiert aufspielenden Pearl Jam. Zackig und agil gleichermaßen dann das minimalistische „Petrified In Love“, wo man Nutini irgendwo zwischen einem aufgedrehten Tom Petty, dem wavigen Elvis Costello und einem gleichmütigen Peter Doherty verorten möchte. Und dann noch das ebenso majestätische wie in sich ruhende und - dem Titel entsprechend - hypnotische „Acid Eyes“, wo man ein bisschen das Gefühl hat, als ob Cigarettes After Sex auf Speed die Weiten der auf Gitarren basierenden Disharmonie ausloten wollten. Puh, ein ganzer Haufen Namen, die da jetzt so im Raum, vielmehr hier im Netz stehen. Und, es sind alles nur Assoziationen, die ich ganz spontan hatte, klar ist: Paolo Nutini ist einer der ganz Großen, nicht nur, weil er, wie man aus dem Info erfährt: „…insgesamt weltweit 8 Millionen Alben verkauft hat und 1,5 Milliarden Streams für ihn zu Buche stehen.“ Nein. Das alles ist Makulatur, und eher wundert man sich darüber, dass jemand, der so gute Musik macht wie Nutini, so großen Erfolg hat, der ihm selbstverständlich von ganzem Herzen vergönnt ist. Auch deswegen, weil es ihm offensichtlich völlig egal ist, denn seine Kunst schert sich nicht um Kommerz und um Anerkennung. Die kommt dann ganz von alleine… und, wie dieses Jahr, bei Auftritten in Knebworth, beim Berliner Lollapalooza und beim Montreux Jazz Festival.
Short Cuts:
Arya Zappa - A Studie Of Dreaming Habits
Nein, es ist nicht zu recherchieren ob Arya Zappa womöglich in direkter familiärer Verbindung zu Frank wahlweise dessen Sohn Dweezil steht. Musikalisch ist Arya sowieso ganz woanders einzuordnen als die beiden legendären Namensvettern, nämlich da, wo sich Leute wie Dave Gahan und Grace Jones stimmlich wohlfühlen, was hauptsächlich ihrer zugegeben sehr tiefen Stimme geschuldet ist. Ihren Sound könnte man am ehesten als electro-basierten, retrospektiven 80s New Wave einsortieren, der sich hörenswert und elegant irgendwo zwischen Pet Shop Boys, French House, Echo & The Bunnymen und 70s-Italo-Disco bewegt. Gemischt hat’s übrigens Mikko Gordon (Radiohead, Arcade Fire), was für die relativ unbekannte Künstlerin aus Berlin ein bestimmt recht kostspieliges Vergnügen war.
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen - Alleine auf Parties - 18 gewöhnliche Hits
Herzlichen Glückwunsch zu: Zehn Jahre DLDGG! Sechs Alben, mehr als 300 Shows. Grund genug für ihr Label tapete aus diesem Anlass 18 ihrer feinsten Songjuwelen für diese Werkschau zusammenzufassen. Von der ersten Single „Die Gentlemen Spieler“ über Kracher wie „Kennst Du Werner Enke?“ und „Arbeit ist ein Sechsbuchstabenwort“ bis zu aktuellen Preziosen wie „Männer mit schönen Haaren“. Perfekt für Einsteiger und für all jene, die schon alles haben, aber nie genug von diesem ungewöhnlichen German-Northern-Easy-Listening-Soul bekommen können. Einziger Wermutstropfen, mein Lieblingslied „Es ist nett, nett zu sein“ fehlt, was schade ist, weswegen ich mir erlaubt habe dieses hier als Video zu verlinken, sorry ihr Gentlemen… „…hab ich da gerade Arschloch gehört…?“
Jiska - Wild Blue Yonder
Mit Künstlerinnen wie Jana Franziska Binder aka Jiska muss uns nicht bange sein um die Qualität der Stuttgarter Musikszene. Von da nämlich stammt sie. Und genau genommen ist die 23-Jährige eine Hoffnungsträgerin, wenn es generell um deutsche Popmusik von internationalem Anspruch geht. Klar, eine neue, die deutsche Billie Eilish ist sie beileibe nicht, da fehlt - vor allem bei den Arrangements und auch in der Produktion - noch der Mut, aber mit ihrer souligen Stimme und den ansprechenden Songs kann sie schon demnächst ganz oben mitspielen, zumindest in der deutschen Popliga.
Imagine Dragons - Mercury - Acts 2
Da isser also, der 2. Teil, der mir bis Redaktionsschluss leider noch nicht in Gänze vorlag. Aber vielleicht reichen ja die beiden ersten Singles „Bones“ und „Sharks“ um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Falls dem so ist, so ist dies kein guter. Gar nicht. Tumbe Radiomusik ist das, gerade recht für die After-Work-Großstadt-Stranddisse. Ich fand die Imagine Dragons früher ja stellenweise schon ganz amüsant und durchaus auch interessant und selbst Teil 1 ihres Mercury-Zweiteilers hatte gute (wenngleich stets bombastisch-pathetische) Momente. Egal, bin jetzt mal gespannt auf den Rest…
Autor: Gerald Huber