Neue Alben von Muse, Lou Reed, Oehl, Heather Nova, Muff Potter und Ezra Furman

Muse zwischen Art-Metal und Dance-Pop, Oehl singt über die Grenzen politischer Wokeness, Ezra Furman liegen Minderheiten am Herzen und Heather Nova covert Pixies u.a.
Muse - Will Of The People
Was soll das denn sein, des Volkes Wille? Das sogenannte Volk neigt nicht gerade zur Logik und Einsicht und ist ja zu einem großen Teil leider so blöd und fast schon gefährlich dumm, dass mich der Wille des selbigen eigentlich eher verstört und verängstigt. Zeit also, dass Muse mit ihrem „Will Of The People“ mal musikalisch zu beschreiben versuchen woran es hapert. Z.B. an „Compliance“. Und an „Liberation“ womöglich auch. Letztgenanntes ist ein hübscher Versuch Freddie Mercury und Queen ein Denkmal zu komponieren. Aber wenn nun all die „Beachtung“ und „Befreiung“ nix hilft? Was tun? Nun, vielleicht mal was in Richtung Classic-Art-Metal á la Queensryche probieren: „Won’t Stand Down“ fetzt mit scharfkantigen Gitarrenriffs und himmlischen Sangeshöhen durchs Gemüt. Passend dazu im Anschluss „You Make Me Feel Like It’s Halloween“, das schon auch mal an die Mainstream-Rocker von Europe erinnert. Wirrer Uptempo-Electro-Dance-Pop mit schlagerhaftem Einschlag bringt dann „Euphorie“ mit sich und dem Titel entsprechend sieht man Muse auch schon beim nächsten ESC im Glitzerregen ihren hoch verdient Sieg feiern. Zum krönenden Abschluss dann die ganze Wahrheit: „We Are Fucking Fucked“. So isses!
Oehl - Keine Blumen
Mit dem Song „Keramik“ legte Oehl den Schalter um und der Musikerkollege Casper bezeichnete diesen gleichmal als Song des Jahres 2019, während Herbert Grönemeyer gleich so begeistert war, dass er Oehl auf seinem Grönland-Label unter Vertrag und mit auf Stadion-Tour nahm. Dem Albumtitel wohnt eine tiefe Traurigkeit inne, denn eine geliebte Familienangehörigen des Wiener Musikers bat darum keine Blumen mehr an ihr Sterbebett zu bringen. Auf Ari Oehls neuem Album verwischen einmal mehr die Grenzen zwischen trockene Beats, dichten Synthteppichen, fein arrangierten Bassläufen, verspielten Retro-Sounds und hoch-melodiösen Klangminiaturen. Dazu singt er wunderbar lyrische, und auf Anhieb nur schwer zu verstehende, deutsche Texte, die sich mal auf Goethe, mal auf mentale Gesundheit, aber auch auf Themen wie Süchte, Geschlechterrollen und die grenzenlosen Peinlichkeiten einer völlig außer Rand und Band geraten politischen Wokeness. Produziert haben diesen ebenso tanzbaren wie stets geschmeidig unterhaltenden Elektropop übrigens findige Leute wie Sophie Lindinger (My Ugly Clementine, Leyya) und Nikodem Milewski (Clueso, Matthea). Mag ich sehr!
Lou Reed - Words & Music
80 Jahre wäre Lou Reed am 2. März geworden, Grund genug für seine hinterbliebene Frau Laurie Anderson ihren 2013 verstorbenen Gatten zu huldigen. Und das geht wahrlich zu Herzen, denn die hier vorliegenden Versionen sind allesamt unveröffentlicht und klingen ein bisschen wie uralte Blues- und/oder Country-Aufnahmen aus den 20-30er Jahren. Dabei sind all diese unglaublich kaputten, intimen und minimalistischen, zugleich aber auch wunderschönen und herzergreifenden Demo-Aufnahmen und Homerecordings von Songs wie „I’m Waiting For My Man“, „Heroin“, „Male Blue Eyes“ u.a. - zwischen 1963 und 1965 entstanden. Nur das bezaubernde Beat-Fragment „Gee Whiz“ stammt bereits schon aus dem Jahre 1958, da war Reed gerade mal 16 Jahre alt. Jetzt schon ein hinreißendes Weihnachtsgeschenk für nerdige Velvet-Freaks und andere Ultra-Fans. Der Atmosphäre wegen aber unbedingt auf Vinyl kaufen.
Heather Nova - Other Stories
Glasklarer Sound dagegen auf Heather Novas erstem lupenreinen Cover-Album. Darauf - zugegebenermaßen etwas unerwartete - Versionen von Songs wie Foreigners „Waiting For A Girl Like You“, Journeys „Don´t Stop Believing“ (grandios), Bee Gees „Stayin’ Alive“ und Rick Astleys „Never Gonna Give You Up“. Erwartbarer dann schon die Interpretationen von „Jealous Guy“ (Roxy Music), „Sailing“ (Rod Stewart), „Fragile“ (Sting) und „Like A Hurricane“ (Neil Young). Heather Nova, die ewig junge Prinzessin des akustischen Indiefolk, zaubert hier nicht und nein, nichts überrascht im Großen und Ganzen. Dennoch sind hier wirklich ein paar unglaublich intime unter die Haut gehende Cover-Perlen (allen voran „Here Comes Your Man“ von den Pixies) enthalten, die einen Kauf des Albums, wahlweise auch ein paar Streams durchaus rechtfertigen würden. (26.10. Freiheitshalle Tickets)
Ezra Furman - All Of Us Flames
Ja, keine schlechte Idee einfach mal alle zu verbrennen. Wer weiß vielleicht erholt sich der Planet ja dann wieder von seinen Sapiens-Schädlingen. Wobei Furman dann doch wieder sein Herz für die Menschen entdeckt, vor allem für jene, die wie er einer diskriminierten Minderheit angehören: “It’s a queer album for the stage of life when you start to understand that you are not a lone wolf, but depend on finding your family, your people, how you work as part of a larger whole. I wanted to make songs for use by threatened communities, and particularly the ones I belong to: trans people and Jews.” Gesagt getan: Tolle Platte! (13.11. Freiheitshalle, Support: The Golden Dregs, Tickets)
Muff Potter - Bei aller Liebe
2009 waren sie auf Abschiedstournee, 2018 aber gab es schon wieder gegenseitige Annäherungsversuche sowie gemeinsame Aktionen in der Öffentlichkeit. Jetzt veröffentlichen die Indierocker ihr zehntes Album. Darauf wie gehabt hemdsärmeliger Hauruckrock mit sehr viel Verve (für die Tanzsohlen) und zuweilen bissig-zeitkritischen Texten (fürs Hirnkastl). Besonders die Blumfeld-Hommage „Ein gestohlener Tag“ ist an Intensität kaum zu überbieten. (4.11. Freiheitshalle, Tickets)
Autor: Gerald Huber