Neue Alben von Angel Olsen, Trixsi, Andrew Bird und Fantastic Negrito

Angel Olsen ist sehr traurig und trotzdem glücklich, Andrew Bird reflektiert sein Gedankenkarussell, Trixsi bärenstark und Fantastic Negrito auf Großmutters Spuren
Angel Olsen - Big Time
Schwere Kost, leichte Kost, todtraurig und dennoch von Dankbarkeit und kleinen Glücksmomenten durchdrungen. Die Ambivalenz von Angel Olsens „Big Time“ ist nur schwer in Worte zu fassen, geschweige denn zu ertragen, und doch kündet es von Zuversicht und Wärme in Zeiten der tiefen Trauer. Olsen hat sich frisch verliebt, daraufhin entschied sie endlich ihren Eltern von ihrer Homosexualität zu erzählen. Ein Coming-Out, befreiend zum Einen, im Nachgang allerdings zutiefst traurig. Denn nur drei Tage nach dem klärenden Gespräch verstarb ihr Vater. Auf der Beerdigung war Olsen in Begleitung ihrer frischen Liebe und stellte diese der Familie vor. Zwei Wochen später der nächste Schicksalsschlag: Die Mutter in der Notaufnahme, was folgte waren ein kurzer Aufenthalt im Hospiz und eine weitere Beerdigung. So viel Leid, so viel Trauer, kaum auszuhalten. Doch da war ja andererseits auch die Liebe, glückliche und tröstende Gemeinsamkeit und ein Hauch von Zukunft. Ein Wechselbad der Gefühle, so dramatisch wie es normalerweise nur Drehbuchautoren in Hollywood schreiben, oder halt das Leben selbst, in jedem Fall kaum zu verarbeiten. Angel Olsen probierte es dennoch, mit all dem fertig zu werden und schon drei Wochen nach der Beerdigung ihrer Mutter saß sie also im Flugzeug nach Los Angeles, um einen Monat im Topanga Canyon zu verbringen und dieses erschütternde, unglaublich schlaue und zugleich unbeschreiblich zärtliche und auf seine ganz spezielle Art wunderschöne neue Album aufzunehmen. (4.10. Freiheitshalle)
Andrew Bird - Inside Problems
Ja, ich glaube ich kann - ohne mich dafür schämen zu müssen - guten Gewissen behaupten, dass ich süchtig bin. Süchtig nach Andrew Birds Stimme, seiner Geige, seinem - auch auf Platte - live eingespielten Bandsound. Seine Art und Weise Musik zu machen ist schlichtweg einzigartig. Wie er sein Hauptinstrument zupft und streicht, wie er es mal countryesk mal psychedelisch in Szene setzt, und all dies immer in einem überaus hörenswerten Folk- und Pop-Kontext. Wie bereits erwähnt: einzigartig! Immerhin sind wir schon bis ins wunderschöne Ferrara gefahren um ihn in einem alten Castello live zu erleben. Open Air war das, im Burghof gewissermaßen, wunderbare Stimmung, haufenweise entspannte Leute, entspannte Musik, kaltes Bier und ebenso kalter Weißwein. Wir waren verzaubert, ein Konzertabend für die Ewigkeit, also meine/unsere kleine Ewigkeit halt… Zwischenzeitlich kooperierte Bird mit Howe Gelb (Giant Sand), Iron & Wine und, vor allem, mit seinem Squirrell Nut Zippers-Spezl Jimbo Mathus auf dem herausragenden Americana-Album „These 13“. Aber jetzt also „Inside Problems“. Nomen est omen widmet sich Bird darauf all den komplexen Gedanken, Fragen und nächtlichen Obsessionen, die jeden von uns schon mal geplagt haben, oder auch ständig im Hirnkarussell ihre Runden drehen. Eine Sammlung von elf Songs folglich, die sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzen, die immer dann ihren Amoklauf starten, wenn es besonders ruhig wird um einen herum. Die Umtriebigkeit die Bird oft auf Social Media an den Tag - oder wahlweise auch die Nacht - legt, ist beeindruckend und vermittelt unwillkürlich seine Angst vor dem Zur-Ruhe-kommen, dem Abschalten, dem Nicht-Loslassen-können. Dennoch, Birds „Inside Problems“ hat nichts von ADHS, von Unruhe oder gar von Ruhelosigkeit und Panikattacken. Eher vermittelt es ein achtsames Reflektieren, ein Damit-umgehen-lernen, ruhig bleiben und packt alle Betroffenen in eine wattierte Gelassenheitskiste, die wie ein Rückzugsraum funktioniert. Lass die Gedanken ruhig um sich selbst kreiseln, hier bist du sicher - und geborgen. Und, klar, dieses Gefühl der - nicht nur, aber eben auch - musikalischen Geborgenheit, welches Andrew Bird immer und immer wieder seit so vielen Jahren fast mühelos transportiert, macht süchtig… sag ich doch! Lasst euch anfixen: Jetzt, oder spätestens am 14.7. in der Neuen Theaterfabrik.
Trixsi - …And You Will Know Us By The Grateful Dead
Muss man erstmal schaffen, gleich zwei Kult-Bands in einem Plattentitel zu verwursten, die dann auch noch mein Leben ganz persönlich sehr bereicherten. Nach dem Grateful Dead-Song Song „China Cat Sunflower“ hat sich meine eigene Band benannt und den Conrad Keely, Bandleader, Hauptsongwriter, Gitarrist und Sänger von …You Will Know Us By The Trail Of Dead hab ich in Phnom Penh persönlich kennenlernen dürfen und soeben hat er - auf meinen Wunsch hin - ein Porträt von einer Künstlerin gemalt, die ich betreue. Kein Wunder also auch, dass ich mich bei den Herren Paul Konopacka, Klaus Hoffmann, Kristian Kühl, König Wilhelmsburg und Jörkk Mechenbier musikalisch ziemlich gut aufgehoben und alles in allem pudelwohl fühle. Das ist extrem packender Gitarrenrock-Krach, sehr rhythmisch, sehr laut, sehr emotional vorgetragen, dabei aber immer auch höchst melodiös, ganz so wie bei Trail Of Dead also. Ein bisschen psychedelisch ist’s dann auch hin und wieder, was man sich vielleicht auch ein bisschen einzureden versucht, um noch die Kurve rüber zu The Grateful Dead zu kriegen. Wobei sich dann bei „Vergib dir selbst“ auch noch jemand wie Neil Young in meiner Referenzenliste meldet und zwar nicht gezwungenermaßen mit Crazy Horse, als vielleicht viel mehr mit Pearl Jam. Vor allem aber Sänger Mechenbier klingt genauso wie der Godfather of Grunge. Und bei Sätzen wie „Schatten, Kotze, Dreck und Liebe: Reeperbahn. Lügen und Legenden, alle ballern gern. Bloß nicht mit den Hobbypunks nach Hause fahren, Kamikaze nur um die Romantik zu bewahren … Vergib der selbst, weil es sonst keiner tut“ kribbelt’s vom Nacken bis runter zu den Lenden. Kein Zufall, dass die fünf Hamburger beim legendären Glitterhouse-Label unter Vertrag sind, denn hier sitzen Leute wie Rembert Stiewe, der es nicht nur versteht, sondern geradezu fordert, dass sich Bands so definieren wie Trixsi das tun, was sich dann im von Frontmann Mechenbier selbst verfassten Bandinfo, wie folgt liest: „Angst oder Stress hat hier keiner mehr. Bock umso mehr. Freude trieft aus jeder Pore und tropft zu Boden, während die Bandmitglieder synchron den Kopf schütteln: Über den Zustand dieser Welt, das menschliche Miteinander im Allgemeinen und die Musikbranche im Speziellen.“ Ich hab so Bock auf Trixsi!
Fantastic Negrito - White Jesus Black Problems
Als erstes fällt einem natürlich der Titel auf. Wobei ja noch nicht einmal erwiesen ist, das Jesus wirklich weiß war, genauso wenig wie der Umstand, dass alle Probleme schwarz sind, respektive nur BIPoC’s welche haben. Aber, schon klar, grundsätzlich ist da schon was dran, schließlich ist die Menschheitsgeschichte voll von grässlichen weißen Boshaftigkeiten und irrationalen Irrtümern und unendlichem schwarzem Leid. Fantastic Negrito nun hat sich was vorgenommen, nachdem er einiges durchgemacht hat, vom millionenschweren Plattenvertrag - inklusive drei Grammys - bis zum fast tödlichen Autounfall und einer damit verbundenen Sinneswandlung. Xavier Dphrepaulezz, so Fantastics bürgerlicher Name, ist jetzt auch schon 54 Jahre, lebt in Oakland und entpuppt sich mehr und mehr als (Menschenrechts-)Aktivist. Denn abseits seines mitreißenden Mix aus Neo-Blues, 70s-Funk, Disco-Glam, Soul-Pop und R’n’B setzt er seine gesellschaftskritischen mithin also „sozial fortschrittlichen“ Texte in die Tat um. So gründete er den „Storefront Market“, einen für die Öffentlichkeit kostenlosen Marktplatz mit Anbietern aus seinem Kiez West Oakland. Zudem bringt er auf seiner „Revolution Plantation“, einer urbanen Farm, Menschen (mit und ohne sozialen Schwierigkeiten) das Gärtnern bei. „White Jesus Black Problems“ möchte Dphrepaulezz als multimediales Werk (es wird auch einen Film dazu geben) verstanden wissen, welches auf der wahren Geschichte von Negritos Großeltern vor sieben Generationen beruht: Seine weiße schottische Großmutter (Grandma Gallamore) arbeitete als Bedienstete in Schuldknechtschaft und lebte in eheähnlicher Gemeinschaft mit seinem afroamerikanischen versklavten Großvater (Grandfather Courage) – in offener Missachtung der rassistischen und separatistischen Gesetze des kolonialen Virginia der 1750er Jahre. So schwere Kost wollte wohl kein Label seinen eh schon schwer in Mitleidenschaft gezogenen Kunden zumuten, weswegen Dphrepaulezz es auf seinem eigenen Label veröffentlichte. Pflichtlektüre!
Autor: Gerald Huber