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Zum Tod von Wolfgang Nöth: Die Macht der Nacht

Hallenmogul Wolfgang Nöth
„Hallenmogul“ Wolfgang Nöth © Marcus Schlaf

Niemand prägte die Münchner Hallen- und Clubkultur wie er: Am 10. Januar ist Wolfgang Nöth gestorben. Eine persönliche Erinnerung von Rainer Germann

„Wo bleibst denn!?“ Wolfgangs fordernde Ansage am Telefon riss mich morgens um 8 Uhr praktisch aus dem Schlaf, ich hatte ihn ja gerade erst heimgefahren in seinem silbernen 7er BMW um 4 Uhr früh. Nach einem Konzert in der Theaterfabrik mit der irischen Gruppe Oisín waren wir mit der Band noch bei „Claudia“, einem Unterföhringer Nachtpub, zur „Nachbesprechung“ und ein paar Spiegeleiern mit Bratkartoffeln eingekehrt. Wie fast jeden zweiten Abend, damals, Mitte der 1980er Jahre. Den Wagen durfte ich dann wieder mit nach Hause nehmen, zurück nach Unterföhring.

Wolfgang Nöth war nach drei Stunden Schlaf bereits wieder topfit, er trank keinen Tropfen Alkohol, dafür aber 20 Tassen Kaffee am Tag und rauchte dazu unzählige seiner geliebten Roth-Händle. Das ehemalige Waisenkind aus Franken war von einem angeborenen Geschäftssinn beseelt, der durchaus auch manische Züge hatte. Jetzt wäre es wieder Zeit für eine „Baubesichtigung“, so nannte er die Erkundung neuer Örtlichkeiten, auf denen er seine zukünftigen Haupttätigkeitsfelder Hallen- und Clubgastronomie sowie Antikmärkte betreiben könnte. „Und, wo bleibst jetzt!?“ Schon unterwegs, Wolfgang.

Bühne und Kreissäge

Kennengelernt habe ich den späteren „Hallenmogul“ schon mit 15 Jahren, Ende der Siebzigerjahre bei einem Ferienjob in der Holzfirma des Vaters meines besten Freundes, wo Nöth arbeitete. Kurz danach stieg er in Beppi Bachmaiers Wirtshaus Fraunhofer ein, im kleinen Hinterhoftheater entwickelte er auch sein Interesse an Kulturveranstaltungen. Kabarettisten wie Bruno Jonas, Jörg Hube und Sigi Zimmerschied standen dort auf der Bühne und als erstere mit steigender Popularität in größere Häuser abgewandert waren und auch Zimmerschied, trotz Nöths legendärer Verkleinerung der Bühne mit der Kreissäge zugunsten der Zuschauerplätze, einfach den Rahmen des kleinen Theaters sprengte, entschloss sich Wolfgang Nöth auf dem Gelände seines früheren Arbeitsgebers in Unterföhring seine erste Halle zu eröffnen, die Theaterfabrik.

Zur besonderen Verfügung

Von 1983 bis 1987 war ich, anfangs sogar mit ehemaligen Unterföhringer Schulfreunden, in der rund 1000 Besucher fassenden Konzerthalle daheim. Zuerst an der Bar, dann beim Catering, bei kleineren Produktionen mussten wir auch mal Licht- und Tonmänner und natürlich Roadies spielen. Das änderte sich erst, als sich international Topacts wie Iggy Pop, Paolo Conte, Nick Cave, Kurtis Blow, Bo Diddley, Stray Cats, The Stranglers, Sonic Youth, Burning Spear, Pogues oder die Red Hot Chili Peppers die Mikrophone in die Hand gaben. Immer mehr wurde ich neben der Bar sein „ZBV“ (zur besonderen Verfügung), sammelte das Geld von den einzelnen Bars unter den Konzerten ein, betreute manch einen der nicht ganz einfachen Musiker oder fungierte eben auch als Nöths Chauffeur (s. oben).

Nach zwei Pogues-Konzerten in einer restlos überfüllten Halle war für mich Schluss: ich fühlte mich ausgebrannt (mit 23 Jahren!) und konnte mit dem Leben auf der Überholspur meines 20 Jahre älteren Chefs nicht mehr mithalten. Die Entscheidung aufzuhören, habe ich bis heute nicht bereut, obwohl ich weiß, dass ich wohl auch einiges an seiner Seite verpasst habe.

König der Hallen

Für Wolfgang Nöth begann nach dem Ende der Theaterfabrik 1992 sein eigentlicher Aufstieg zum Hallenkönig: er eröffnete das Nachtwerk, baute 1993 den ehemaligen Flughafen Riem zu einem Konzertareal mit vier Hallen um, bevor er dann 1996 mit dem Kunstpark Ost das größte Hallen- und Clubgelände samt Antik- und Flohmarkt der Republik schuf. 1997 kam die große Zenith-Halle in Freimann dazu, 2003 wechselte Nöth vom Kunstpark Ost, der mittlerweile von den Verpächtern selbst als Kultfabrik betrieben wurde, in die daneben gelegenen Optimolwerke. Anfang der 2010er Jahre wanderten viele Clubs in die Innenstadt ab, doch Nöth hatte schon ein neues Objekt im Auge: ein riesengroßes Gelände in Neuaubing, in das er mit seiner Freimanner Antikmarkthalle umziehen und vielleicht auch die ein oder andere Kulturhalle eröffnen wollte. Nach Anwohnerprotesten dienten die Hallen ausschließlich als Antikmarkt und Lagerungsstätten seiner unglaublichen Sammlung an Antiquitäten und Kuriositäten wie Schiffsanker, Zirkuszelte, historische Fahrgeschäfte und vieles mehr. Vor zwei Jahren verkündigte Wolfgang Nöth die Wiedereröffnung der Theaterfabrik an einem neuen Standort bei Johanniskirchen. Sowohl als Eventlocation, die zum Teil von seiner geliebten Tochter Leila mit Dioramen gestaltet wurde, aber auch als Konzerthalle sollte diese genutzt werden. Es gab Lautstärkeprobleme mit Anwohnern, zuletzt fanden dort zumindest Hochzeitsfeierlichkeiten statt.

Es ist vielleicht eine Ironie des Schicksals, dass Wolfgang Nöth nun mit 77 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in einer Zeit gestorben ist, in der fast alles, was sein Leben ausgemacht hat, durch die Pandemie zum Stillstand verdammt ist. Legionen von Clubbetreibern und Veranstaltern sind an seiner Brust groß geworden, er war „ein Segen für die Stadt, aber eine Strapaze für die Verwaltung“ (Christian Ude) und mit Sicherheit einer der ungewöhnlichsten Akteure der Münchner Kulturwelt.

Jemand wie er fehlt jetzt schon, geschweige dann, wenn es wieder losgehen soll.