Multi-Künstler Freez: „Grenzwertig böser Humor“

Aufgewachsen im Hippie-Umfeld - in München: FREEZ wusste schon immer, wie man Gegensätze verbindet. Aktuell sorgt er mit „Polyamor“ für Wirbel.
Hallo Freez, starkes neues Video, schön pikantes Thema. Aber mal ganz ehrlich War der Traum vom Lebensstil „Polyamor“ zuletzt – in Zeiten von offiziellen Kontaktverboten, Nachtlebenmisere und Clubschließungen - nicht ein besonders vergeblicher?
Haha, Danke freut mich zu hören. Der Song ist bereits vor zwei Jahren entstanden, aber aktuell ist das Thema so viel besprochen wie nie, also ich denke ein guter Zeitpunkt.
Wirklich?
Ja, also ich hatte Anfang letzten Jahres, also quasi zum ersten Lockdown, tatsächlich nochmal den Versuch gemacht und mich auf eine monogame Beziehung eingelassen. Allerdings von vornherein ergebnisoffen, denn ich habe mit ihr natürlich darüber kommuniziert, dass ich nicht glaube, dass ich das kann. Es ging dann eh nach einem Jahr auseinander und hat mich nochmal darin bestätigt, dass es für mich so nicht funktioniert. Danach waren die Kontaktverbote zum Glück nicht mehr so streng, und es ist durchaus positiv dieses Thema in Dating-Apps von vornherein zu kommunizieren. Bumble ist da übrigens Klientel-bedingt besser geeignet als Tinder und noch passender ist poly-amorie.de.
Gut zu wissen.
Sich gleich nur mit Menschen zu daten, die das ähnlich sehen, ist eigentlich ziemlich angenehm, spart Zeit und man muss nicht grübeln über den richtigen Zeitpunkt, es anzusprechen. Das ist quasi wie immer mit einem T-Shirt, mit der Aufschrift „Polyamor“ herum zu laufen. Durchaus praktisch. Gibt’s übrigens in meinem Shop ;-)
Wie kommst Du zur Polyamorie: Wie viel muss man etwa privat wissen und ausprobieren, um darüber nicht nur augenzwinkernd, sondern auch ein wenig fachkundig zu rappen?
Ich hatte eigentich immer das Gefühl, irgendwie mit einer Lüge zu leben. Ich halte diese romantische Vorstellung „nur noch Augen für eine Person zu haben“ für Quatsch. Zumindest für meine Gefühlswelt ist das unmöglich. Mag sein, dass das für andere funktioniert, bei mir definitiv nicht. Der gesellschaftliche Druck erwartet das aber von einem, man behält es daher für sich, um andere Menschen nicht zu verletzen. Aber das fühlt sich für mich wie eine Lüge an. Ich möchte meine Partnerin aber nicht belügen. Ich halte Ehrlichkeit für das Wichtigste in einer Beziehung, tun das nicht die meisten?
Stimmt wohl.
Und ich möchte auch nicht belogen werden. Ich bin auch so gut wie nicht eifersüchtig im klassischen Sinne. Ich wäre eifersüchtiger, wenn meine Partnerin mit jemand anderem ein Geheimnis teilen würde, als wenn sie Gefühle teilen. Ersteres verletzt mich, zweiteres freut mich für sie. Dann hatte ich einmal eine offene Beziehung, die von ihr aus ging und das war ein Lifechanger. Das hat sich so toll angefühlt, nicht mehr mit einer Lüge leben zu müssen. Ich habe gemerkt, dass ich sogar angetan war davon, wie frei sie mit ihrer Sexualität umgegangen ist. Gönnen ist in dem Zusammenhang ein wichtiges Wort. Wenn ich jemanden wirklich liebe, möchte ich doch, dass die Person glücklich ist und alles was sie glücklich macht, macht mich glücklich. Daraufhin habe ich dann Bücher und Podcasts zu dem Thema verschlungen - und seither weiß ich, so möchte ich leben.
„Erst viele Töne formen den Akkord“ heißt es im Song. Da denkt man natürlich gleich: Wie viel Menschenfreundlichkeit steckt hinter dem Konzept?
Einmal spielt diese Zeile darauf an, dass ich eine Persönlichkeit mit vielen Facetten habe. Ich fände es unfair, an jede potentielle Partnerin eine Messlatte anzulegen und zu erwarten, dass dieser Mensch gefälligst mir entsprechen muss. Ich find es sogar grundsätzlich unangebracht, an andere Menschen eine Messlatte anzulegen. Ich freue mich über Gemeinsamkeiten, finde aber Besonderheiten, Ecken und Kanten an Menschen besonders interessant. Gleichzeitig weiß ich aber aus Erfahrung, dass genau diese Ecken und Kanten, je intimer eine Beziehung wird, irgendwann zu einem Problem werden. Man versteift sich nur noch auf die negativen Dinge und entwickelt irgendwann sogar eine Abneigung. Solang man jedoch je nach Bedarf auch ein bisschen Distanz haben kann oder Abwechslung - solange kann man sich an den Besonderheiten des anderen erfreuen, statt sie irgendwann zu hassen. Und Ja, ich bin definitiv ein Menschenfreund.
Klingt gut.
Ich bin ja in einer richtigen Hippie-Kommune aufgewachsen, und ich glaube, dadurch habe ich sehr früh gelernt, mich in andere Perspektiven reinzuversetzen. Es gibt so viele Lebenswirklichkeiten und so viele individuelle Wahrheiten. Abgrenzen ist für mich ignorant. Und ich bin furchtbar neugierig. Insbesondere als Künstler kann ich gar nicht genug Input von außen haben, alles inspiriert mich und erweitert meinen Horizont. Meine Alptraumvorstellung von mir selbst, wäre ein ewig gestriger alter Mann zu werden, der die Welt nicht mehr versteht. Einer, der sich nur noch in einer sich ständig wiederholenden Wohlfühl-Bubble aufhält, die sich die ganze Zeit gegenseitig bestätigt während sich irgendeine einseitige Sicht auf die Welt immer mehr verfestigt. Alptraum! Um dem entgegenzuwirken, brauche ich mehr als nur ein Korrektiv um mich herum.
Sich als Künstler über Wasser zu halten, dürfte in den vergangenen Monaten noch weitaus schwerer gewesen sein als oft zuvor. Was ist Ihr Geheimrezept dafür, den Glauben an sich selbst und vor allem auch die gute Laune nicht komplett zu verlieren?
Meine Familie war zum Glück direkt von Anfang an da und hat mich auch finanziell unterstützt. Dann habe ich ein paar staatliche Hilfen bekommen, und ALG2 wurde auch so angepasst, dass es erträglich ist. Also finanziell kam ich gut klar. Den Glauben an mich selbst hab‘ ich in der Zeit nie verloren, ganz im Gegenteil: Als neugieriger, Lern- und wissbegieriger Mensch, habe ich mich sofort auf so vieles gestürzt, was ich schon immer mal machen wollte, lernen wollte, bauen wollte. Das war toll. Ich bin Autodidakt, Ich weiß von mir, wenn ich etwas können will, muss ich halt Arbeit investieren, dann geht es. Freie Zeit und erfolgreich Dinge zu lernen, stärkt meinen Glauben an mich selbst. Und ich hab angefangen mit Comedy, das macht grad richtig gute Laune!
Du stehst ja auf verschiedenen Standbeinen: Waren es zuletzt trotz allem gute Zeiten, neue Konzepte auszutüfteln, zu texten und Fans mit einer Fülle an im Stillen vorbereitetem neuem Material zu überraschen?
Ja, voll! Meine neueste Leidenschaft Comedy macht grad übertrieben Spaß! Ich hatte so viel Zeit, mich in die Materie reinzuarbeiten und hab‘ so viele Lernerfahrungen gemacht. Ich freue mich darauf, demnächst mit fertigem Material auf Tour zu gehen! Ich habe ein Buch angefangen, habe meine Skills an der Gitarre und am Keyboard verbessert, und mein Notizbuch ist voll mit tollen Ideen, die ich umsetzen werde, sobald es wieder weitergeht. Für mich war es eigentlich ‘ne tolle Zeit. Aber jetzt reicht es, und ich hab soviel Lust wie noch nie, endlich wieder auf die Bühnen zu kommen. Endlich mit all diesen Ideen Menschen ‘ne gute Zeit zu verschaffen, sie glücklich zu machen und in ganz viele strahlende Gesichter zu blicken. Auftritte sind ja eigentlich auch sowas wie eine gaaanz große Polyamore-Beziehung für den Moment.
Wie teilst du dir deine Energien eigentlich auf: Wie viel Zeit geht in die Musik, wie viel in Podcasts oder die Comedy?
Bei Kunst mach ich es etwas anders als in der Liebe, da betreibe ich quasi serielle Monogamie ;-) Ich hab‘ meistens ein Projekt, das gerade Priorität hat. Und ich habe auch Kreativphasen oder Arbeitsphasen. Dementsprechend passe ich meine Lebensumstände an. In Kreativphasen ist mehr Party-Lifestyle angesagt. Da bin ich, was Selbstdisziplin anbelangt, sehr gnädig zu mir. Also alles was gesundes Leben betrifft, wird da etwas hintenangestellt. Und dann gibt’s Arbeitsphasen. Da wird ganz viel Sport gemacht, gesunde Ernährung, geregelter Tagesablauf und die Ideen aus der Kreativphase werden umgesetzt.
Und welche Phase herrscht aktuell vor?
Die letzten 1½ Jahre waren tendenziell eher Kreativphasen, und da wird Zeit verwendet, wann immer eine Eingebung wozu auch immer kommt. Wieviel Zeit wofür? Keine Ahnung, haha! Jetzt aktuell fange ich aber an wieder disziplinierter zu werden, und es geht gerade sehr viel Zeit in Comedy. Tagsüber wird geschrieben, geprobt und gefeilt, am Abend wird es auf der Bühne ausprobiert. So drei bis vier Tage die Woche. Dann viele Besprechungen gerade über Zukunftspläne im Bereich Comedy. Wie die Tour aussehen wird etc. Dazwischen Sport, Promo und Bürokram, Woche um! Die ersten DJ-Auftritte stehen jedoch vor der Tür, und demnächst werde ich mich einige Tage mit der ganzen neuen Musik beschäftigen, die sich so angesammelt hat und an meinen DJ-Sets arbeiten. An eigener Musik ist noch genug Fertiges in der Schublade und wird immer wieder mal was rausgehauen. Podcast steht gerad hinten an.
Auch das Bühnen-Standup-Programm soll ja „Polyamor“ heißen. Auf was darf man sich konkret freuen?
Ja, das wird Polyamor heißen, aber nicht ausschließlich darum gehen. Ich stehe auch auf grenzwertigen bösen Humor, und dafür gibt das Thema Polyamorie nicht genug her. Ich mag einerseits Humor mit Tiefgang, mit Metaebene, aber ich mag es auch, einfach nur sinnlosen Quatsch zu erzählen. Verspulte Kiffer-Gedanken, Pipi-Kacka-Humor und so. Aber auch die ein oder andere witzige Polizeistory oder Rassismus-Erfahrung werden sich wieder finden. Ich hab‘ ein paar Ideen zu richtig schweren Themen wie Afghanistan. Das ist jedoch Champions-League, ob ich sowas bis zur ersten Tour schon hinbekomme, weiß ich noch nicht.
Sind harte Zeiten eigentlich auch Gelegenheiten, den Humor etwas nachzuhärten: Kann man über das ganz große Durcheinander überhaupt lachen?
Genau deswegen muss man lachen! Je hilfloser man sich fühlt, desto lauter sollte man darüber lachen. Genau dafür ist Humor da! Humor macht Dinge erträglich, die man nicht einfach so ändern kann. Die Alternative ist Verbitterung und Hass. Oder strenge Religiosität mit Selbst-Geißelung, in der Hoffnung, dass im nächsten Leben oder im Jenseits alles besser wird. Mir fällt da die Entscheidung recht leicht, haha!
Letzte Frage: Eigentlich schreit bei Dir ja alles nach der großen Gruppen-Amore in Clubs und Konzerthallen. Wie groß ist die Vorfreude, wann geht’s wieder los?
Ja Mann! Also, die ersten Gigs kommen schon wieder rein. München 2. Oktober, ab jetzt übrigens im Backstage, genau wie meine wöchentliche Comedy- Bühne, jeden Mittwoch. Darüber hinaus: Mal sehen. Ich weiß noch nicht, wie viele Clubs in Deutschland überlebt haben, mit denen ich bisher jahrelang zusammengearbeitet habe. Einige haben schon angekündigt, dass sie sich erstmal keine teuren Bookings leisten können, sondern mehr auf lokale Künstler*innen setzen müssen. Was ich verstehe. Daher mal sehen. Comedy, wird vermutlich erst Frühjahr 2022 starten. Aber die Vorfreude ist riesig, vermisse auch all die Freunde, die ich in sämtlichen Regionen dieser Welt so habe! I‘m on fire - wie nie zuvor!
Interview: Rupert Sommer