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Meinung: München politisiert sich

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Solidaritäts-Demonstration für die Ukraine am 26.02.2022 am Stachus in München
Solidaritäts-Demonstration für die Ukraine am 26.02.2022 am Stachus in München © InMagazin Verlags GmbH / Rainer Germann

Women-Marches, Klima-Aktivismus und Solidaritätsdemos: Ist das Klischee von der behäbigen bayrischen Landeshauptstadt überholt? 

München, Ende 2022: In der glühweingetränkten Post-Pandemie-Besinnlichkeit blitzen zwischen Geschenkeshopping und Christkindlmarktbesuchen immer wieder erstaunliche „Störfaktoren“ auf: Junge Leute kleben sich auf die Straßen, um auf das Sterben des Planeten aufmerksam zu machen; regelmäßige Women-Marches auf dem Odeonsplatz und anderswo sprechen den Menschen im Iran, die unter dem Mullah-Regime leiden, ihre Solidarität aus; Und dann ist da natürlich noch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, zu dem zahlreiche Aktionen stattfinden. Und das alles im sonst so passiv wahrgenommenen München! Da kann dem Städter am Marktstandl schon mal das Zwetschgenmandl aus der Hand fallen. Muss das Klischee von der versnobbten bayrischen Landeshauptstadt, in der man öfter „Bussi, Baby“ als „Bella Ciao“ singt, neu justiert werden?

Zunächst mal muss festgestellt werden, dass das Klischee nie so ganz stimmte: Es gab in München immer einen Kern an politisch aktiven Menschen, die Missstände anprangerten, bevor diese auf ihren Gasabrechnungen sichtbar wurden. Wo vieles schiefläuft, gibt es immer eine Gegenbewegung. Ein paar Highlights: Als 1995 die Sperrstunde in der Waldwirtschaft bei Pullach auf 21:30 Uhr vorverlegt werden sollte, sahen sich die Menschen in ihrer Liberalitas Bavariae eingeschränkt, gingen auf die Straße und bewirkten, dass der Biergarten bis 23 Uhr geöffnet haben durfte. Dass diese recht gemütlichen Proteste -ich saß als 5-jähriger auf den Schultern meines Vaters, marschierte also mit- schließlich unter dem Namen „Biergartenrevolution“ in die Geschichte eingingen, lässt Kurt Eisner zwar bis heute im Grabe rotieren, aber immerhin. Als in Bayern Mitte der 00er-Jahre allgemeine Studiengebühren eingeführt wurden, ließen die Proteste nicht lange auf sich warten. Schließlich wurde für mehrere Wochen das Audimax der LMU besetzt. 2013 wurden die Gebühren wieder abgeschafft.

Als 2015 schließlich die Pegida ihre menschenfeindlichen Züge durch die Münchner Innenstadt unternahm, gab es dankenswerterweise auch direkt große Gegendemos, die zeigten, dass man in München nicht einfach so seine stumpf-rassistischen Parolen loswerden darf. Im Zuge dessen wurde schließlich von diversen Institutionen eine große Demo auf dem Max-Joseph-Platz ausgerufen. Diese mobilisierte auch Menschen, die bis dato noch nicht auf die Straße gegangen waren. Seitdem hat sich diese Art der Großdemos in München etabliert. Böse Zungen sagen, dass die Münchner Stadtgesellschaft diese nutzt, um später sagen zu können, dass man „adabei“ war und das an Engagement ja wohl reiche, schließlich hat man sich auch die Reden angehört und ist nicht nach dem Soli-Auftritt der Sportfreunde Stiller wieder gegangen. Aber auch hier: immerhin, ich bin ganz genau so.

Ein Sprung ins heute: Die Welt ist in großen Teilen beschissen. Dass auch die Münchner Stadt-Gesellschaft das realisiert und reagiert, ist logisch, aber auch sehr gut. Wie eine Exil-Iranerin es zu den Iran-Demos in Deutschland formulierte: „Unsere Aufmerksamkeit ist ihr Schutz!“ Lasst uns zur Münchner Gemütlichkeit auch 2023 ein gutes Maß an Engagement gegen aktuelle Ungerechtigkeiten mischen: Für die Menschen im Iran, in der Ukraine und auf diesem Planeten.

Franz Furtner

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