Nachschlag von Moses Wolff

„Urbane Schlaglöcher“
München ist eine Stadt, an der eigentlich nichts verändert werden muss. Zahlreiche Regenten und Künstler wie Ludwig I., Ludwig II., Franz von Stuck, Johann Baptist Stiglmaier und Leo von Klenze haben das Bild unserer Metropole geprägt und ihr zeitlos schöne Bauwerke, Straßen und Parks geschenkt.
Ich lebe seit meiner Geburt im Jahre 1969 hier und kann mich nicht erinnern, meine Heimatstadt jemals ohne Baustellen erlebt zu haben. Ständig wird irgendetwas weg- oder aufgerissen, erneuert, begradigt oder verändert. Selten erschließen sich mir die Bauvorhaben, allerdings bin ich kein großer Freund moderner Architektur und finde vieles Alte erhaltenswert. Eine betagte Boazn wird nicht zwangsläufig gemütlicher, wenn man alles rausreißt und durch Neuware ersetzt.
Das war schon vor vierzig Jahren bekannt und kann beim Monaco Franze in der Faschingsfolge nachvollzogen werden, als der alte Kugler (gespielt vom legendären Fritz Strassner) erklärt, warum es in seiner Wirtschaft keinen Fasching mehr gebe und das Lokal in ein seelenloses Imbiss-Nichts verwandelt wurde: Alles sei teurer geworden, Strom, Pacht, Heizkörper, Wasser. So habe er das Konzept verändert. Die Umsätze sprächen für sich.
Diese kleine, schreckliche Szene aus der beliebten Fernsehserie kann man mittlerweile auf die gesamte Stadt übertragen. Seit Jahren doktern geheimnisvolle Wesen am Umbau des sehr zentral gelegenen Sendlinger Tor-Platzes herum. Bauarbeiter sieht man so gut wie nie, seit 5 Jahren werden kontinuierlich Busse umgeleitet, Trambahnfahrpläne eingeschränkt und der Verkehr zum Stocken gebracht. Als Resultat präsentierte man uns dort vor ein paar Monaten stolz ein paar völlig sinnlose neue Rolltreppen. Außerdem wird seit Anfang des Jahres der schöne alte Aufzug bei der Kreissparkasse renoviert; die Arbeiten sollen ein ganzes Jahr andauern.
In dem von mir bewohnten Haus wurde kürzlich ein komplett neuer Aufzug eingebaut, das hat erstaunlicherweise nur zwei Monate gedauert. Privatleute müssen halt etwas genauer aufs Geld schauen. Zum Glück gibt es im Untergeschoss beim Sendlinger Tor seit Jahren überall Schlaglöcher! Es verwundert, dass es nicht ständig jemanden schmeißt. Immerhin hat die Stadt reagiert und die Gräben zwar nicht mit Beton ausgegossen, das wäre auch etwas viel verlangt. Stattdessen wurden die Stolperfallen mit roten Kreisen umrandet.
Das gleiche ist im Nebenflügel der Baustelle am Hauptbahnhof auf dem Weg zum Starnberger Flügelbahnhof passiert. Dort sind es allerdings keine Schlaglöcher, sondern regelrechte Krater. Das Stadtbild soll zwar verschönert werden, auf der anderen Seite schert sich niemand darum, was die Stadt für ein erbärmliches Bild bei Besuchern abgeben muss. Vielleicht empfinden es ja manche Touristinnen und Touristen als chic und modern, überall rot-weiße Absperrungen zu betrachten? Wer weiß?
In anderen Großstädten gibt es zwar auch Baustellen, aber niemals in dieser Fülle wie bei uns. Da würden die New Yorker Bürger ganz schön blöd schauen, wenn laufend scheinbar willkürlich die Straßen abgesperrt würden, damit dann wochenlang nichts passiert. Ephraim Kishon schrieb vor fünfzig Jahren im „Blaumilchkanal” über einen Mann, der in Tel Aviv eine zentrale Straße mit seinem Presslufthammer in Schutt und Asche legt, was niemanden zu stören scheint. So ist es auch bei uns. Die Bevölkerung schaut stillschweigend zu, wie ganze Stadtteile in Chaos verwandelt werden, wie beispielsweise das schöne alte Pasing in eine von keinem einzigen Bürger gewünschte verkehrsberuhigte Geschäftsmeile voller Billigfriseure und Ramschläden verwandelt wurde - und viele kleine Geschäfte aufgrund der monströsen „Arcaden“ ihren Betrieb aufgeben mussten.
Irgendjemand wird kräftig an den Baustellen verdienen, das ist klar. Von mir aus sollen sie alle ihren Reibach machen, seien es Politiker, Baufirmen oder sonstwer – aber macht bitte Eure Arbeit ordentlich. Die Lieblosigkeit und Schlamperei an vielen Stellen der Stadt ist schon fast peinlich. Weil: wenn es mich schmeißt, dann bitte selbstverschuldet durch den Genuss von viel Bier, aber nicht durch Krater im U-Bahngeschoss.
Moses Wolff ist Münchner Autor, Schauspieler und Regisseur. Im Herbst erscheint sein zehnter Roman „Gendarm des Königs“ im Hirschkäfer Verlag. www.moses-wolff.de