Françoise Sagan: Bonjour tristesse - Die Sonne und du!

Bonjour tristesse – das Hörspiel zu Françoise Sagans Klassiker mit Elisa Schlott, Michael Rotschopf u.v.a.
Gefühlte 90 Prozent der Ende ‘83 aus dem Fenster geworfenen Radios verdanken ihren liebesentzuglerischen Abgang einem Udo-Jürgens-Song: „... Die Sonne und du / Uh uh uh uh / Gehör’n dazu ...“ Instrumental motorisiert mit nur spärlich verhülltem Innuendo Richtung Sunshine Reggae, im Sommer desselben Jahres quasi Orwell-84-mäßiger Zwangssoundtrack.
Unter der Sonne begrüßen sich Schlager und existenzialistische Literatur wie alte Freunde. Sie befreien den kosmischen Heizpilz aus seinem passiven Deko-Dasein und pimpen ihn zu einem Top-Plot-Influencer. Unter dem stoischen Licht der Sonne erfahren tragische Figuren ihre metaphysische Bürde und ein emotionsneutrales Framing ihres Handlungsspielraums.
Beispiel Uncle Alberts Der Fremde von 1942. Me-Voice Meursault, im Kadimodus, weil er einen Menschen erschossen hat, zeigt auf die Sonne wie AT-Adam auf Apfel-Eva: Sie war’s. Ganz ähnlich: Meursaults Erzähl-Kollega Cécile in Bonjour tristesse. Nach dem autoagressionsverdächtigen Abgang ihres Intrigen-Opfers Anna erwägt Cécile, der Tristesse powered by Madame Soleil den alten Pierre noir anzureichen: „Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte es bewusst getan. Voller Hass. Damit ich mich wenigstens selbst anklagen könnte. Mich. Und nicht die Trägheit, das Meer, die Sonne und Cyrils Küsse.“
Die monumentale Hörspieltauglichkeit des 1954 erschienen Romans der klingelbeutelschwingerzertifizierten Lotterleben-Aktivistin Françoise Sagan (1935-2004) wurzelt in der Spannung zwischen den Figuren vor dem Big-Chill-Ambiente der französischen Blauküste. Das leise Rascheln der Meeresschaumfinger, die über den Strand streicheln, mischt sich mit Zikadenklatsch und dösenden Siesta-Jazz-Trompeten und befördert punktuell installierte Geräusche in eine höhere Symbolgehaltsklasse. Zähneputzen und Gurgeln als Repair-Kit für eine zerstörerische Nacht. UV-Protect-Ketchup-Flaschen-Quetsch als laues „Sorry!“ für erkaltete Liebe. Kleinste Stimmungsschwankungen avancieren zu Vorboten einer Katastase, die alle Überlebenden mit einem Koffer voll Schuldgefühlen zurücklässt, während die Sonne wie gehabt in unendlicher Ismirsternschnuppeness ihre Bahnen abnudelt. Nice one.
Autor: Jonny Rieder
Françoise Sagan: Bonjour tristesse. Hörspiel von Ulrich Lampen (Bearbeitung und Regie) mit Bettina Engelhardt, Michael Rotschopf, Elisa Schlott u. a., hr2-kultur 2022, 1 CD, ca. 75 Min., www.der-audio-verlag.de