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Diskussionsrunde mit den Verantwortlichen - Kultur in der Krise

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Von: Andreas Platz

Emotionale Diskutanten zu „Kultur in der Krise“
Emotionale Diskutanten zu „Kultur in der Krise“ © Max Otto

Diskussionsrunde: Im Volkstheater trafen sich bayerische Landespolitiker mit Künstlern und Kulturveranstaltern aus München und Bayern

„Kultur in der Krise – Wie bewahren wir die Vielfalt der bayerischen Kultur- und Veranstaltungsbranche vor dem Point Of No Return?“ war am Montag die große, für viele auch existenzielle Frage, bei einer Diskussionsrunde im Münchner Volkstheater, initiiert und – so charmant es das Thema zulässt – moderiert von der Kulturmanagerin Katrin Neoral und der Sängerin Anamica Lindig.

Update vom 10.10.2020

Mittlerweile gibt es einen Mitschnitt der Veranstaltung in voller Länge:

Hier geht’s zur Zusammenfassung der Diskussionsrunde „Kultur in der Krise“ auf Kulturplattform jourfixe-muenchen. 

Kulturelles Rollenspiel

Anamica Lindig und Katrin Neoral
Fachkundig und charmant: Anamica Lindig und Katrin Neoral © Max Ott

„Schwarzer Peter“ im herkömmlichen Sinn wurde hierbei nur zwischenzeitlich gespielt, immer dann nämlich wenn – vor allem auf der politischen Seite – untereinander Schuldige gesucht wurden, was – um es vorweg zu nehmen – erfreulich selten der Fall war. Dafür aber haben sich die beiden Initiatorinnen Neoral und Lindig zum Einstieg in die Diskussion ein hübsches Rollenspiel überlegt, dem sich die fünf geladenen Landespolitiker, darunter auch Staatsminister Bernd Sibler, stellen sollten. Sibler selbst durfte sich also vorstellen er sei ein selbständiger, frei arbeitender Jazzmusiker dem durch das pandemiebedingte Auftrittsverbot jegliche Existenzgrundlage entzogen worden sei und nun artikulieren solle, was er sich aufgrund dessen von der Politik erwarte. Rainer Ludwig, von den Freien Wählern – anstelle des durch Abwesenheit glänzenden Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger geschickt – sollte sich in einen Technoclub-Betreiber hineinversetzen, was ihm vermutlich im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, zumindest phonetisch recht ordentlich gelang.

Staatsminister für Wissenschaft und Kunst: Bernd Sibler
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst: Bernd Sibler © nn

Susanne Kurz von den Grünen wurde kurzerhand zur Leiterin eines städtischen Theaters umfunktioniert, der Sozialdemokrat Volkmar Halbleib durfte sich als bayerischer Großkonzertveranstalter fühlen und Dr. Wolfgang Heubisch (FDP), ehemaliger Wissenschafts- und Kunstminister Bayerns sollte in die Rolle eines Schwabinger Kabarettbühnenbesitzer schlüpfen, was ihm sichtlich Freude bereitete, da er im Gegensatz zum „Clubbetreiber“ Ludwig, nach eigenem Bekunden zumindest, doch einiges von der Materie verstehe. Fürwahr ein gelungener Einstieg, im Prinzip aber wäre es wohl fast dasselbe, wenn man einen Schweinezüchter, der Massentierhaltung praktiziert fragen würde, was er sich wünscht, wenn er an Stelle einer seiner armen Sauen wäre. Alles anders, vermutlich…

Volkstheater-Intendant Christian Stückl
Engagiert und kritisch: Volkstheater-Intendant Christian Stückl © Reuters

„Wenn das nur alles wäre!“

Als nach dem Rollenspiel die Betroffenen in Person von Volkstheater-Intendant Christian Stückl, Kabarett-Impressario Till Hofmann (Lustspielhaus, Milla, Eulenspiegel Konzerte u.a.) und Semmel Concerts-Chef Dieter Semmelmann die Bühne betraten und danach gefragt wurden, ob sie sich und ihre Situation adäquat beschrieben gesehen hätten, waren alle drei dann überraschender Weise doch relativ zufrieden. „Gut vorbereitet“ sei laut Hofmann der Aiwanger-Vertreter Ludwig gewesen, der offensichtlich alles vom Blatt ablas, da er ehrlicher Weise eigentlich – echt jetzt? – das ganz genaue „Gegenteil“ eines Technoclubbetreibers sei. Dem sehr emotionalen und sympathisch engagierten Stückl gingen all die Einschätzungen freilich nicht weit genug: „Wenn das nur alles wäre!“ stellte er gleich zu Beginn seines energischen Plädoyers fest und erzählte heißblütig von all den kleinen und großen Details die diese Ausnahmesituation noch so mit sich brachte und kritisierte ebenso fundiert wie eindringlich das Krisenmanagement der Bundes- und Staatsregierung.

Till Hofmann (Lustspielhaus, Milla, Eulenspiegel Konzerte u.a.)
Applaus für gute Ideen: Till Hofmann (Lustspielhaus, Milla, Eulenspiegel Konzerte u.a.) © nn

Verlässlichkeit und Perspektive

Auch Semmelmann stimmte in den Kanon ein und bemängelte die „pauschalen Begrenzungen“, die „Gefühle der Verunsicherung“ bei allen Beteiligten, also Veranstaltern, Künstlern, Technikern und auch dem Publikum hervorriefen, aufgrund von uneinheitlichen Regelungen bei Bund, Land und Kommunen. Dieser wünscht sich Verlässlichkeit und perspektivische Zusagen der Politik um Planungssicherheit zu erlangen. Zudem empfahl Semmelmann einen Blick nach Österreich, wo demnach ein Schutzschirm für die gesamte Veranstaltungsbranche gespannt wurde, indem u.a. sämtliche Fixkosten der Unternehmen für 2020 und gegebenenfalls auch 2021 vom Staat aufgefangen würden. Selbiges erzählte auch Till Hofmann von einem Theater in Wien, deren Betreiber keine Miete mehr zu zahlen hätten und so einzig für die Nebenkosten aufkommen müssten. Bei Vermietern hierzulande sei eine solche Solidarität eher die Ausnahme, so Hofmann sinngemäß weiter.

Zudem steuerte er noch eine wirklich gute Idee bei, indem er vorschlug all die von den Veranstaltungsverboten am schlimmsten betroffenen, egal ob Künstler oder technisches, überwiegend soloselbständiges Personal vom Tontechniker über Stagehand bis zum Lichtler, aufgrund ihrer Steuererklärung aus den letzten drei Jahren einzustufen und zu veranlagen und dementsprechend zu fördern respektive adäquat zu unterstützen. Darüber hinaus schlug er noch vor, die Politik solle versuchen erschwingliche, mithin also geförderte Räumlichkeiten, sprich große Hallen, aufzutun, damit man auch im Herbst und Winter einigermaßen kostendeckend Kultur veranstalten könne. Für all diese konstruktiven Gedanken bekam er aus dem Auditorium zu Recht, um es mit einem Song der mit Hofmann bestens befreundeten Sportfreunde Stiller zu sagen: Applaus, Applaus!

Gerechte Subventionierung mit „Geistertickets“

Zu guter Letzt durften dann noch in Person des Liedermachers und Kabarettisten Roland Hefter, des klassischen Flötisten und Vorstandsmitglieds des Bayerischen Tonkünstlerverbands Edmund Wächter und des Schauspielers und Regisseurs sowie 1. Vorstands der Kulturplattform Jourfixe-München Sven Hussock, drei Künstler ihr Leid klagen. Hefter, der auch als Kommunalpolitiker tätig ist brachte dabei die Idee der „Geistertickets“ ins Gespräch. Hier soll der Staat quasi Gagenausfälle kompensieren indem er (virtuelle) Tickets von Künstlern kauft, die aufgrund der Abstandregeln nur sehr viel weniger Publikum in die Säle und Hallen lassen dürfen, die sie aber im Normalfall locker zu füllen in der Lage gewesen wären.

Liedermacher und Kabarettist Roland Hefter
Gerechtigkeit durch „Geistertickets“: Roland Hefter © rolandhefter.de

Hefter sähe dies als „gerechte Art der Subventionierung“, die am Ende auch zielgerecht ankommen würde. Von Künstlerseite einhellig beklagt wurde auch weiterhin das allgemein herrschende Chaos und die Undurchsichtigkeiten wenn es um die Beantragung von Förder- und Hilfsmitteln geht. Es sei für die Betroffenen nur schwer ersichtlich gewesen, welche Förderung man wie beantragen hätte sollen, dürfen, können. Auch hier herrscht(e) maximale Verunsicherung wer / was bekommen würde, respektive wer / was dann auch wieder zurückzuzahlen hätte, Stichwort „Betriebskosten“.

 „Wir müssen was tun“

Das Schlussplädoyer von Kunstminister Sibler fiel mit den vier markanten Worten „Wir müssen was tun!“ dann auch eher pragmatisch aus. Und so waren sich am Ende auch die Politiker, die sich wie bereits erwähnt erfreulich selten in parteipolitischen Scharmützeln ergingen, mit Künstlern und Veranstaltern einig: Man müsse dringend für mehr Vertrauen bei allen Beteiligten (Veranstaltern und ihrem Personal, Künstlern, Publikum) sorgen. Des Weiteren seien alle Parteien im bayerischen Landtag – allen voran natürlich die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wähler, die sich durchaus auch nicht immer grün sind in ihren Vorgehensweisen – angehalten: schneller, konkreter und zielgenauer zu handeln.

Es bedarf einer verlässlichen Planungssicherheit, einer verbesserten Abstimmung zwischen Wirtschafts- und Kunstministerium sowie weiteren – hoffentlich dann endlich auch mal unbürokratischen – Hilfsmaßnahmen, die auch da ankommen wo sie nach wie vor dringend gebraucht werden. Absichtserklärungen, klar, und sie alle sind freilich aller Ehren wert, aber erst die nächsten Wochen werden wirklich zeigen ob die Politik im Freistaat in der Lage ist die „Vielfalt der bayerischen Kultur- und Veranstaltungsbranche vor dem Point Of No Return“ zu bewahren.

Gerald Huber

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