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Münchner Rock- und Pop-Newcomer: So klingt das neue Jahr!

Münchner Rock- und Pop-Newcomer
Münchner Rock- und Pop-Newcomer © Promo /Privat

Die hoffnungsvollsten und interessantesten Münchner Rock- und Pop-Newcomer für 2022...

MALVA

Die Schwabingerin Malva Scherer wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Modisch changiert sie mühelos zwischen Neuer Bohème, Roaring 20s, Existenzialismus, Beatgeneration der 60er sowie den Blumenkindern der 70er. Sie verweigert sich trotz ihrer erst 19 Jahre vehement und so weit wie eben möglich der Digitalisierung im Allgemeinen und den sogenannten sozialen Medien im Besonderen, weswegen sie weder etwas für Facebook noch für TikTok über, geschweige denn einen eigenen Account hat. Ungewöhnlich auch für ihre Jugend, ein musikalisches aber vor allem auch literarisches Faible für die Grande Dame des Punk: Patti Smith. Und so eröffnet sie seit geraumer Zeit jeden ihrer Tagebucheinträge mit „Liebe Patti…“, der sie dann in aller Ausführlichkeit ihre Tage schildert. Zudem bewundert sie natürlich Patti Smith’ Seelenverwandten Robert Mapplethorpe und Simone de Beauvoir, und Malva liebt die Musik von ZAZ, Jesper Munk, Melody Gardot, Oskar Haag und Peter Doherty. Ihre Songs, die sich im weiten Spektrum zwischen fragilem Chanson und melancholischem Indiepop einordnen lassen, schreibt sie überwiegend auf englisch, aber auch ihre deutschen Texte, die sie gelegentlich einstreut, lassen enormen Tiefgang erahnen. Letztes Jahr hat sie ihr Abi gemacht und ordnet sich selbst der pandemischen „Lost Generation“ zu, die seit jetzt dann bald zwei Jahren im gesellschaftlichen und künstlerischen Lockdown verharrt und, auch in Anbetracht der Klimakatastrophe, jetzt schon kaum Perspektiven hat. Zurzeit arbeitet sie dennoch beharrlich an ihrem Debüt-Album und wie man hört, sind schon einige bekannte Namen aus dem Musikbusiness auf sie aufmerksam geworden, mit denen sie sich dann gerne in ihrem zweiten Wohnzimmer, dem Café Pini trifft. 2022 wird das Jahr von Malva, weil derzeit niemand so wunderschön über die Traurigkeit, die Verletzlichkeit und die Verzweiflung, dennoch aber immer wieder auch über das Schöne am und im Leben und das Gute in den Menschen singt, wie sie.

INLIER

Sänger/Gitarrist Leo Zinsler, Schlagzeuger Ben Dages, Kilian Schülen am Bass und Lead-Gitarrist Mario Heitmayr dürfte es ganz ähnlich ergehen wie Malva, sind sie doch allesamt genau in ihrem Alter. Nur, dass die vier ihre Wut, ihren Ärger, ihre Zukunftsängste und ihre Verzweiflung in eine mitreißende Mischung aus PostPunk, Metal, Indierock und Emocore packen. Zuletzt ließen sie bei diversen Nachwuchswettbewerben aufhorchen in denen sie die jeweilige Jury im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand spielten. Ausdrücklich gelobt wurde dabei stets, dass das Quartett ein extrem harmonisches, freundschaftliches Bild abgibt, weswegen schon Vergleiche zu Münchner Kult-Bands wie den Kytes und Wait Of The World  gezogen wurden. Auch hoben die Juror:innen immer wieder das riesige Potential von Inlier heraus, weswegen für die vier jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, den nächsten Schritt zu vollziehen. Dieser sieht vor, dass sie ihren mitreißenden Sound, der elektronische Samples und NuMetal-Einflüsse genauso in sich trägt wie Punk-Attitüde und Modern-Metalcore nun endlich auch auf Band respektive auf Platte bringen wollen. 2022 ist deswegen das Jahr von Inlier, denn ihr Debüt wird mächtig Staub aufwirbeln in der Szene und Bands wie die Blackout Problems, Cadet Carter und Things That Need To Be Fixed kriegen nicht nur Konkurrenz, die ja bekanntlich das „Geschäft“ belebt, sondern vier lässige Buam, mit denen man gerne auch mal zusammen Einen heben möchte.

DIANA GOLDBERG

Diana Goldberg begann ihre musikalische Karriere bereits mit fünf Jahren, da ging’s nämlich los mit dem Klavier, klassisch versteht sich… Als Teenager fing sie dann auch gleich an zu singen, zu komponieren und ihre eigenen Lieder schließlich mit Begleitband live aufzuführen. Jetzt, da sie dieses Jahr - allerdings fern der Musik - Gesundheitswissenschaften fertig studiert hat - soll fortan wieder ihr elektronischer Soulpop im Lebensmittelpunkt stehen. Ihr Sound so Diana Goldberg sei „inspiriert von den dunklen Ecken der menschlichen Seele und persönlichen Erfahrungen“. Davon angesprochen meldete sich gleich mal der Produzenten Joseph Feinstein (bekannt durch Kooperationen mit Leuten wie James Carter, Miles & Miles, Nuvilices, Villforth u.a.), mit dem sie jetzt einige Songs zusammen aufgenommen hat. Ihre Debütsingle „Occupy Your Mind“, eine ebenso internationale wie anspruchsvolle Mischung aus Pop, Soul, R’n’B, TripHop und Electronica wurde bereits für den „German Songwriting Award“ nominiert und bei den Jungen Leuten von der SZ stand Goldberg darüber hinaus letztes Jahr schon zur Wahl für die „Band des Jahres“. Es folgten Auftritte u.a. beim Reeperbahn-Festival und haufenweise Airplay bei egoFM, PULS u.a. Interessant auch die Besetzung ihrer Liveband in der man Leute wie u.a. Ada Binaj am Bass (Ex-Paul Kowol) sowie Niklas Bühler (auch Polygonia s.u.) am Keyboard antrifft. 2022 wird Diana Goldbergs Jahr, weil ihre aktuelle, im September erschienene Single „Game Over“ absolutes Hitpotential hat und das für die Zukunft nur einen Schluss zulässt: Top Ten.

BLUSHY AM

Kristina Moser ist eher ein Nachttyp, auch und vor allem kreativ betrachtet. Daher also das AM in ihrem Künstlerpseudonym: Blushy AM. Vier Jahre lang hat sie bis vor kurzem noch Ballett studiert, doch gesundheitliche Gründe zwangen sie dazu ihren großen Traum von einer Tanzkarriere zu begraben. Jetzt sucht sie trotzdem das Scheinwerferlicht, allerdings nicht als flügellahmer Schwan in der letzten Reihe, sondern als Sängerin. Die hauptberufliche Flugbegleiterin hat die Zeit genutzt, in der die Flieger Lockdown-bedingt nicht durch die Gegend düsen durften, um ihre jahrelang aufgestaute Kreativität in Songs zu verwandeln. Ihre erste Single heißt „Tip Toein“: Es geht darin ums Flirten, Feiern und Festivals. Dinge, die ihr während ihres Ballettstudiums schon weitgehend verwehrt blieben und auf die Blushy AM aus bekannten pandemischen Gründen wohl auch fürderhin noch ein bisschen verzichten muss. Aber in Bezug auf ihre Kleidung darf auch sie sich zumindest schon mal etwas mehr austoben, als nur im Tutu filigran und fast ohne Bodenberührung über die Bühne zu tänzeln: Sie mag es am liebsten knallbunt und legere. Klar ist auch, dass jemand wie sie, der so viel Lebensfreude ausstrahlt, nicht in die letzte Reihe einer Balletttruppe gehört. Blushy AM macht schon von Anfang an sehr viel richtig, bei ihren Songs, vor allem dem überaus gelungenen „Lemons“, einer trippigen, ausgeschlafen produzierten Mischung aus jeder Menge Soul, aber auch Pop und einer Prise HipHop-Groove, ist man regelrecht überrascht, wie jung sie noch ist. 2022 wird Blushy AMs Jahr, weil sie engagiert an ihrer Musik arbeitet, dabei nichts dem Zufall überlässt und überhaupt ebenso großartige wie mitreißende Popusik zum Abheben macht.

SANTANS

Wer Chris Pham und seine Color Comic schon mal live gesehen hat, der/die weiß um die gute Laune, die diese Band mit ihrem irgendwo zwischen Vampire Weekend und Parcels changierendem, funky-wavigem Gitarren-Indiepop unter ihren Zuhörer:innen zu verbreiten mag. Da wird dann gerne auch mal ausgelassen mitgetanzt oder gar Zeile für Zeile, vor allem freilich von den eingefleischten Fans, auch mitgesungen. Gitarrist und Backgroundsänger Chris Pham gilt in der Münchner Musikszene aber gleichzeitig auch als meinungsstarker und multikreativer Designer in Sachen Videoproduktion, Regie und Grafik für diverse lokale Musikacts und ist seit Anfang 2021 auch als einer der derzeit spannendsten Solo-Acts unserer Stadt unterwegs. Als dieser nennt er sich Santans und seine Geschichte hat es in sich, denn ihr geht ein schwerer Schicksalsschlag voraus. 2020 verbrachte Chris Pham nämlich nach einem „Blackout“ infolge von physischer und psychischer Überlastung mehrere Wochen im Krankenhaus da er sich einer Hirnoperation unterziehen musste. Als Santans nun verarbeitet Chris auf seiner Debüt-EP „ttt“ nun das Erlebte: die unendlichen Schmerzen, die Angst, die Monotonie des Klinikalltags und die oft auch ermüdende Rekonvaleszenz. All das thematisiert Santans also in drei sehr nachdenklichen, sehr mutigen Indiepop-Songs, im Jahresverlauf gefolgt von weiteren Singles wie das pianolastige „Come Undone“, „Milano Glasses“ mit seinen frechen Indie-Funk-Gitarren und das rhythmisch ebenso versierte wie interessante, genüsslich verträumte „to waiting.“ Genau aus diesem Grund ist 2022 auch das Jahr von Chris Pham aka Santans, der sein Leben nun wieder in vollen Zügen genießen kann, mit mehr Ruhe versteht sich, und den Fokus immer auf den nächsten genialen Pop-Hook gerichtet.

LAURAINE

Laura Glauber aka Lauraine ist eine lebenslustige junge Frau, der so schnell nichts etwas anhaben kann. Aber, bei all den Flausen im Kopf konnte sich einem schon mal der Gedanke aufdrängen, dass es sich bei ihr durchaus auch um ein schlampiges Genie handeln könnte: Jede Menge Talent aber wenig Fleiß und Ehrgeiz. Jetzt aber so scheint es, hat Lauraine, die der Münchner Szene schon als Musikerin und herausragende Backgroundstimme von Bands wie Matija und/oder LORiiA auffallen konnte, die Kurve gekriegt. Sie, die das Leben in vollen Zügen genießt, hat sich besonnen und konzentriert sich fortan auf ihre Solokarriere. Gesegnet ist Laura Glauber mit einer umwerfenden Stimme, die ohne wenn und aber auch internationalen Maßstäben genügt und sich nicht mal vor Adele verstecken muss. Und, dass Laura in den Vordergrund und ins Rampenlicht gehört, wird sofort klar, wenn man die Sängerin mal live erlebt hat. Innerhalb weniger Takte schafft sie es, ihr Publikum, mit ihrem ebenso eleganten wie breitgefächerten Stimmspektrum, durch alle erdenklichen menschlichen Emotionen zu schicken; vor allem aber will man nur eines: Mittanzen. Den Bandname schreibt Lauraine, deren Electropop auf der Bühne von drei ausgezeichneten Musikern umgesetzt wird, gerne auch mal in Blindenschrift als Zeichen für Barrierefreiheit und Inklusion. Für Laura Glauber ein elementares Thema, denn seit ihrer Geburt ist sie Prothesenträgerin. 2022 wird Lauraines Jahr, weil es Zeit wird das Thema Inklusion neu und zudem viel weiter als bisher zu denken, und weil sie musikalisch noch so viel in petto hat, dass es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis selbst die taubsten Talentscouts der großen Plattenfirmen ihr ein lukratives Angebot unterbreiten werden.

POLYGONIA X DELUSIONAL CIRCUITS

Die zwei sind wirklich bemerkenswert. Lindsey Wang aka Polygonia und Niklas Bühler aka Delusional Circuits, sind nicht nur wie hier in der elektronischen Musik, sondern auch in der analogen Realität ein (Liebes-)Paar. In ihrer Wohnung in Untergiesing-Harlaching, hat jeder für sich ein Studio eingerichtet, in welche sie sich für ihre Arbeit gerne mal tagelang zurückziehen um dann übers Internet miteinander zu kommunizieren. Ihre künstlerische Arbeitsweise ist geprägt von musikalischer Experimentierfreude bei der oft Sounds entstehen, bei denen man nicht glauben kann, dass es sich bei diesen überhaupt noch um Techno handelt. Grund dafür ist die besondere Herangehensweise des Duos an die elektronische (Ambient-)Musik. Ihr mystischer Deep-Techno sei nicht „Drop“ fokussiert, liest man des öfteren, was auch immer das dann genau bedeuten mag… Was aber offensichtlich ist, dass den beiden ein ebenso ausgefallenes wie intelligentes Sounddesign wichtig ist, eines das die Zuhörer:innen gleichermaßen fordert wie überrascht. Damit schaffen es Lindsay und Niklas, organische Klänge zu erzeugen, die einen förmlich anziehen, einschließen und folglich auch gänzlich umhüllen. Mitunter weiß man dann gar nicht mehr so genau, ob nun gerade ein berauschendes Live-Set seinen Anfang nimmt oder es doch vielleicht sogar angebrachter wäre, die Yogamatte auszubreiten und sich auf eine Meditation einzustimmen. Einschläfernd aber wirkt die Musik bei alldem freilich nie. Zu aufgeweckt ist ihr Spiel mit Klangästhetik und Soundscapes. Dabei werden ihre erzählerisch gestalteten Kompositionen stets zu einem ganz besonderen Hörerlebnis. 2022 ist das Jahr von Polygonia x Delusional Circuits, weil ihre Tracks herausfordern sind und gleichzeitig eine ganz besondere Sounderfahrung darstellen, der man sich nur schwerlich entziehen kann.

Autor: Gerald Huber

Mit freundlicher Unterstützung des Feierwerk und der Fachstelle Pop. Besonderer Dank an Irina Stürmer und Alessa Patzer sowie Clara Löffler und Lea Mohr.