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Grünen-Stadtrat David Süß: „Clubs sind Kultur. Das ist genial, das ist ein Meilenstein“

Kann kaum erwarten, dass der Bass wieder einkickt: David Süß
Kann kaum erwarten, dass der Bass wieder einkickt: David Süß © Grüne

Lange Jahre hat er als Mit-Gründer und Mit-Betreiber von Ultraschall und Harry Klein Münchner Techno-Geschichte geschrieben. Seit vergangenem Jahr dreht David Süß kräftig an den Rathaus-Reglern mit. Was die Aufwertung der Club-Szene für das Nachleben der Stadt bedeuten wird...

Hallo Herr Süß, so langsam macht sich endlich wieder Aufbruchsstimmung in der Stadt und vorsichtige Hoffnung in der Kultur- und Gastro-Szene wieder breit. Wie stark hat Sie selbst schon der neue Frühlingsschwung erwischt?
Der Schwung war nie raus, als Vorstand im Verband der Münchener Kulturveranstalter und als Mitglied im Kulturausschuss bin ich mit allen Kolleg*innen, mit anderen Verbänden und mit der Stadtverwaltung im Austausch, in Planungen und auch Entscheidungen, damit möglichst viele und verschiedene Kulturveranstaltungen stattfinden werden.

Ihre Drähte in die Clubs und zu den Veranstaltern sind ja weiterhin sehr kurz. Wie schätzen Sie die Stimmung unter den Kollegen ein, die sich lange – und leider offenbar auch noch auf nicht ganz absehbare Zeit weiterhin – so fühlten, als wären Sie in der öffentlichen Warnung übersehen worden?
Die Szene ist vor allem vielfältig, deshalb gibt es nicht eine Stimmung und je nach Problemlagen großen Frust, Unverständnis, Ungeduld. In der Breite sehe ich vor allem in der Entwicklung eine Zustimmung zu den Maßnahmen. Und es gibt einen Umschwung der Stimmungen, weil nach der großen Unsicherheit in den ersten drei Monaten die Hilfen (Überbrückungsgelder, Neustart Kultur, November-, Dezemberhilfen, Kurzarbeit) angekommen sind und die Programme weiterentwickelt wurden. Einzelne trifft es trotzdem hart. Eh schon knappe Rücklagen sind aufgebraucht, Zwischennutzungen, Mietverträge laufen aus und aktuell ist es sehr schwer, neue abzuschließen.

Was richtet das eigentlich in der sonst ja vermutlich eher robusten Seele eines Club-Betreibers an, wenn ausgerechnet der Lebensinhalt, der früher so vielen Menschen Freude und Energie gegeben hat, plötzlich als so gefährlich wie Arbeit in der Giftmüllentsorgung oder zwischen den Fronten im Krisengebiet gelten muss?
Das trifft uns alle. Schau Dir an, wie wir in Schlangen anstehen oder in der Tram auseinander rücken. Es wird wirklich Zeit, dass wir uns in den Arm nehmen, zur Begrüßung ein Bussi aufdrücken und ja, auch in einem Club, auf einem Konzert in der Gruppe kuscheln.

Von wie vielen früheren Nacht-Kollegen haben Sie gehört, die jetzt mit ihren Nerven und Möglichkeiten komplett am Ende sind – und wie gelingt es Ihnen, sie zumindest ein stückweit wieder aufzubauen?
Gerade in den ersten Monaten war es wichtig Zuversicht zu spüren und weiter zu geben. Die existentiellen Sorgen der Kolleg*innen waren heftig. Aber wie in der Pandemie, hier hilft die Solidarität und deshalb haben wir im Verband und zusammen mit dem Kulturreferat an dem „Kultursommer“ gearbeitet und gezeigt, dass Konzerte, Veranstaltungen möglich sind. Und wir haben uns mit anderen Verbänden immer wieder zu Wort gemeldet, Probleme aufgezeigt und konstruktive Vorschläge eingebracht. Du bist nicht allein, das ist ein wichtiges Zeichen.

Was viele ja offenbar stark vermissten: öffentliche Anerkennung. Wie wichtig ist es, dass Clubs jetzt laut Beschluss des Bundestages nicht mehr länger als Vergnügungsstätten, sondern als „Anlagen für kulturelle Zwecke“ eingestufte werden sollen?
Das ist genial, das ist ein Meilenstein. Vergnügungsstätten sind Spielhallen, Casinos, aber auch eine Tabledancebar oder ein Bordell. Schon aus Respekt vor den Künstler*innen, die in den Clubs, Musikspielstätten auftreten, war es überfällig, das zu ändern.

Sie machen sich mit Ihren Kollegen im Rathaus dafür stark, rasch die Rechtslage auch auf die Münchner Clubs anzuwenden. Was erhoffen Sie sich konkret von dem Schritt?
Wir wollen von allen zuständigen Referaten eine Prüfung, was bedeutet das für die Stadt. Und mit diesem Wissen wollen wir politisch handeln. Konkret, wir können herausfinden, gibt es ein „Clubsterben“ und warum. Dann können wir handeln und der Verdrängung entgegenwirken. Wir können Freiräume für Clubs schaffen, durch vereinfachte Genehmigungen, auch in Neubaugebieten und gespannt sein, wie solche Freiräume von der Szene genutzt werden.

Künftig könnten Clubs rechtlich mit Theatern, Opern, Museen und Konzerthäusern auf einer Ebene stellen. Als langjähriger Club-Pionier, der auch viel kämpfen musste: Wie fühlt sich das an, wie groß ist der Stolz?
Stolz empfinde ich da gar nicht. Es ist aber ein schönes Gefühl, das gemacht zu haben, was uns Spaß macht und was und wichtig ist. Das weiterzuentwickeln, mal zu kämpfen, mal zu verhandeln, vor allem auch mit der Stadt, mit den Ordnungsbehörden, der GEMA oder dem Markt. Diese Entwicklung gibt es in vielen Städten und das freut mich sehr, wir haben was Eigenes entwickelt, und die Szene bleibt lebendig, und ich bin gespannt, was noch kommt. 

Wie schnell ist damit zu rechnen, dass kunstbeflissene Münchner Kulturbürger noch rascher die Clubs rund um die Feierbanane entdecken und in Abendkleidung belagern werden?
Es gibt schon länger Annäherungen: Das MKO oder die Philharmoniker, die in der Roten Sonne oder im Pacha spielen, die Kooperation von Harry Klein und der Kunsthalle. Ein Abendkleid wird im Club nicht auffallen, junge Clubgäste in der Staatsoper schon eher. Und keine Sorge, Clubs werden Labore bleiben, hier wird sich ausprobiert, neues versucht und diese Offenheit wird erhalten bleiben. Das kann gelingen, wenn nicht nur die Etablierten sich halten, sondern die schon genannten Freiräume geschaffen werden.

Wie könnten die Livrees der Türsteher etwa im Harry Klein in Zukunft – wie etwa die Kollegen vom Theater oder der Oper – aussehen, wenn sie Karten abreißen und mit weißen Handschuhen Programmhefte verkaufen?
Da baue ich auf die Szene und bin sicher, wir werden ganz was anderes erleben. Mein Wunsch: die Gäste werden von Awareness Teams empfangen und genießen eine wilde Nacht in einem Safer Space.

Bislang galt München - allen gelegentlichen Unkenrufen aus heimlich eifersüchtigen anderen Städten zum Trotz – ja als Musik-Metropole und Stadt mit einer bunten Club- und Underground-Szene. Wie schwer wird es Ihrer Meinung nach sein, diese Vielfalt zu erhalten?
Raum und vor allem Freiraum ist das große Thema in der Stadt. Der Druck auf die Räume ist enorm und der Raum ist sehr knapp. Deshalb ist es so wichtig heute schon zu handeln, die Clubs anzuerkennen und entsprechend zu planen, damit es diese Freiräume weitergibt. Das wird eine ständige Herausforderung sein, aber es gibt den politischen Willen die Vielfalt zu fördern, die Menschen, die Szene - dafür sind da. Das stemmen wir.

Wie kann die Politik, was können die Grünen, da konkret weiterhelfen?
Offen sein, ins Gespräch kommen, auch die zarten Pflanzen sehen, die Diversität fördern und einfordern und aus dem Dialog und dem Wissen um Verwaltungsabläufe, Notwendigkeiten immer wieder Ideen entwickeln. Konkret wird ab 1. Juni die Fachstelle Nächtliches Feiern unter dem Namen „Moderation der Nacht - MoNa“ besetzt sein und mit der Arbeit beginnen. Es wird ein runder Tisch etabliert, hier tauschen sich die Akteur*innen mit den städtischen und staatlichen Stellen aus. Und es gibt ja den schon genannten Antrag, wir bleiben auch mit der Verwaltung an dem Thema dran. Versprochen.

Viel ist jetzt die Rede davon, dass mit der neuen kulturellen Anerkennung im Rücken, die ja konkret mit baurechtlichen Fragen zu tun hat, auch die Planung und Genehmigung von Clubs ein wenig einfacher werden könnte. Wie groß ist Ihre Hoffnung da konkret?
Ich bin überzeugt, das wird etwas ändern. Heute ist ein Club, auch ein kleiner in manchen Gebietskategorien gar nicht genehmigungsfähig. Weil der Club eine Vergnügungsstätte ist. Deshalb werden die als Gaststätte genehmigt und dürfen dann eigentlich gar nicht das machen, was sie machen wollen. Da wird es eine Rechtssicherheit geben und es können sich damit neue Räume eröffnen. Die Verwaltung und auch MoNa können entsprechend beraten und Hilfestellung geben, damit solche Clubs nicht sofort in den Konflikt mit der Nachbarschaft kommen, sondern sich alle an einer lebendigen Stadt freuen können. Das wird Arbeit, aber es lohnt sich.

Immer wieder gibt es Rufe, Club-Kultur nicht nur in den Zentren zu konzentrieren, sondern auch gleich bei der Planung neuer Stadtviertel zu berücksichtigen. Um wie viel einfacher könnte das nun werden?
In neuen Stadtvierteln ist an viel Infrastruktur zu denken, Straßen, ÖPNV, Grünanlagen, Kitas, Schulen, Praxen, Bibliotheken und Kultur. Wir haben in München die SoBoN (Sozialgerechte Bodennutzung). Werden neue Baugebiete ausgeschrieben, müssen sich die Planungsbegünstigen, an den Kosten und Lasten eines Teils dieser Infrastruktur beteiligen. Ich freue mich auf die Diskussion, ob ein Club da mitzudenken ist. Es gab schon Gespräche zu den Planungen der Bayernkaserne, inwieweit dort Erdgeschosse kulturell genutzt werden können und welche Voraussetzungen es dafür braucht. Für ein Entwicklungsgebiet im Münchner Nordosten (Bogehausen, Daglfing, Engelschalking) gibt es konkrete Anfragen von Initiator*innen nach einer kulturellen Infrastruktur.

Letzte Frage: Wie groß ist eigentlich die eigene Sehnsucht, mal wieder eine lange Club-Nacht durchzufeiern und wann wird das Tatzelwurm-Projekt konkreter?
Durch meinen Wechsel in die Politik bin ich aus dem Tatzelwurm-Projekt ausgestiegen. Aber gerade erst gab es eine superspannende Infoveranstaltung des Tatzelwurm-Teams zusammen mit der TUM und der Hans-Sauer-Stiftung. Da wurden konkrete Pläne für das Tatzelturmprojekt vorgestellt. Das wurde auch aufgezeichnet und ist unter www.tatzelturm.de zu sehen.

Spannend.
Das Projekt findet eine breite politische Unterstützung und unsere Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden verfolgt das mit Leidenschaft. Wie ich nachgefragt habe, das Team arbeitet daran einen Auswahlprozess für Interessierte aufzusetzen. Es geht also weiter voran.

Und die Vorfreude?
Und zur letzten Frage: Boah, es wird so Zeit, im Club zu sein und auf der Tanzfläche zu stehen, wenn der Bass einsetzt.

Alle Infos zur Arbeit von David Süß bei den Grünen im Rathaus und zu den Forderungen rund um die Münchner Clubs: www.gruene-fraktion-muenchen.de/clubs-sind-kultur/

Interview: Rupert Sommer