Unsere Buchtipps für Oktober
Ein totkomischer Thriller von Mick Herron, das Schicksal zweier Brüder von Behzad Karim Khani und Gothic Fiction von Anne Eekhout
Mick Herron - London Rules (Diogenes)
Vom Geheimdienst wegen Unfähigkeit aussortiert zu werden, also einer Behörde, die so seriös ist wie ein Cum-Ex-Dealer, fällt jetzt nicht wirklich unter Ego-Booster. Einen Haufen solcher „alternativ zurechnungsfähiger“ MI5-Expendables nötigt Autor Mick Herron ins Abstellkammerschreibtischlampenlicht seiner Romanserie. Dort arbeiten die „Slow Horses“ unter Darmhochdruck daran, aus einer Katastrophe eine Apokalypse zu machen. Beim Versuch, einen gefühlten Anschlag zu verhindern, erledigen sie ihren Schützling versehentlich selbst. Eine ihrer harmloseren Aktionen. London Rules ist der fünfte krautisierte Band der Reihe und startet mit einem Massaker in einem englischen Kaff. Klingt nach Thriller, ist aber totkomisch. Vor allem weil „Slow Horses“-Chef und XXL-PC-Fucker Jackson Lamb und seine Psychogang grundsätzlich nie oberhalb der Gürtellinie operieren. Nicht die Sorte Citizen, die du gerne neben dir auf dem Friedhof liegen hast, aber um Erdumlaufbahnlängen sympathischer als ihre Gegenspieler: Politiker, Medienfuzzis, nicht-degradierte Geheimdienstler. Dazu ein Dauerbeschuss mit Gaga-Dialogen, wie sie nicht mal zwangsalkogepoppte Teenager hinkriegen: „… bevor wir Hare Krishna begehen, …“ „Harakiri.“ „Gesundheit.“ Furzkissenschlacht de luxe.
Autor: Jonny Rieder
Behzad Karim Khani - Hund Wolf Schakal (Hanser Berlin)
Stromsparen wird immer wichtiger. Warum also länger mit dem Streaming von Serien wie „4 Blocks“ die Klimabilanz und die Haushaltskasse belasten? Es gibt doch zum Glück auch noch großartige Großstadtromane wie das verblüffend starke Debüt von Behzad Karim Khani der 1977 in Teheran zur Welt kam, später mit seiner Familie nach Deutschland ging und heute unter anderem eine Bar in Kreuzberg betreibt. Vorteil dabei: Wer fasziniert, angespannt, teilweise angewidert und vor allem mit kurzem Atem über die Seiten hinweg jagt, dem wird auch noch richtig heiß (Heizkosten-Sparen!). Mit einem Tritt aufgestoßen wird die Tür in eine Welt, in der sich die Perser Nima, Saam und ihr stoischer Witwer-Vater fremd fühlen müssen – zwischen schroff ablehnenden und betulich zugewandten Bio-Berlinern sowie arabisch dominierten Straßengangs. Es geht um den berüchtigten eigenen Weg, den man finden muss, möglichst aufrecht. Für Saam, der so gerne Familienoberhaupt spielen würde, führt der in die Gewalt und ins Gefängnis. Sein jüngerer Bruder zögert lang, behauptet sich anders. Doch der Sog ist brutal. Bezhad Karim Khani schildert den Straßenkampf, der bekanntlich viel mit Psychologie zu tun hat, beklemmend nah an seinen oft verloren wirkenden Protagonisten, einfühlsam, mit Härte und Humor. Und der ihm mit Klischees kommen will, fängt sich eine Schelle. Weiterbildungslektüre!
Autor: Rupert Sommer
Anne Eekhout - Mary (btb)
Wenn dir Kakerlaken aus dem Mund kriechen sollen, weißt du, dass du in einem Ken Russell-Film spielst, bemerkte vor kurzem der Schauspieler Timothy Spall in einem Interview mit The Guardian. Spall mimte sehr genial den exzentrischen Lord Byron-Freund und - Leibarzt John Polidori in Russells Film „Gothic“, ein surrealer cineastischer Alptraum über den Aufenthalt Byrons nebst seiner Geliebten Claire, Polidori, Lyriker Percy Shelley, seiner zukünftigen Frau Mary und Babysohn William 1816 am Genfer See. Die achtzehnjährige Mary Shelley spielt die Hauptrolle in Anne Eekhouts phantastischer Erzählung vor historischen Begebenheiten: Mittels einer fiktiven Parallelhandlung, die vier Jahre vor den Ereignissen bei einem Aufenthalt Marys in Schottland einsetzt, erweckt sie diese als feministischen Freigeist zum Leben. In Dundee verliebt sich Mary in die Gastgebertochter Isabella, vereint in düsteren Fantasien, die sich mutmaßlich um die Sichtung eines „Monsters“ und den mysteriösen Mr. Booth drehen, der in seiner „Brauerei“ geheime Experimente mit Elektrizität veranstalten soll. Als am Genfer See dann unter dem Einfluss von Laudanum Gruselgeschichten gelesen und verfasst werden, beginnt Mary Shelley ihren berühmten Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ ... Der Rest ist: Schauergeschichte.
Autor: Rainer Germann