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Unsere Buchtipps für Mai

Erstellt:

Inspirierender, spannender und amüsanter Lesestoff von Nicolas Mathieu, Thomas Käsbohrer, Asta Nielsen und Mumia Abu-Jamal

Unsere Buchtipps für Mai
Nicolas Mathieu - Connemara, Thomas Käsbohrer - Das Rätsel der Orcas, Asta Nielsen - Im Paradies und Mumia Abu-Jamal - Texte aus dem Todestrakt © Verlage

Nicolas Mathieu - Connemara (Hanser)

Erneut ist Nicolas Mathieu nach dem mit einem Prix Goncourt gekrönten Werk „Wie später ihre Kinder“ ein französischer Gesellschaftsroman gelungen, der unter die Haut geht und allerhand über den Zustand einer mehr oder weniger wohlhabenden Mittelschicht zu erzählen weiß, die zwar mit vollem Kühlschrank, aber leeren Gefühlswelten lebt. Die namensgebende irische Landschaft ist in Form eines berühmten Chansons von Michel Sardou das Leitmotiv dieser Geschichte um die amour fou von Hélène und Christophe, die sich in ihrer Jugend kurz begehrten und sich 20 Jahre später in verschwitzten Hotelbetten in der Lothringischen Provinz wiederfinden. Ihre Leben könnten unterschiedlicher nicht verlaufen sein: Hélène machte Karriere, zog nach Paris und kehrte als erfolgreiche, verheiratete und vereinsamte Geschäftsfrau eines ebenso präsentablen Mannes und als Mutter zweier verwöhnter Töchter zurück in die Kleinstadt Nancy. Christophe hat diese nie verlassen, der ehemals gefeierte ProvinzEishockey-Star und jetzige Vertreter für Hundenahrung schultert zwar einen Rucksack mit dementem Vater, geschiedener Frau und in der Schule gemobbtem Sohn, gerät aber erst durch die Begegnung mit der ehemaligen Jugendfreundin in einer erotischen Beziehung völlig von der Rolle. Wie wenige Autoren versteht es Nicolas Mathieu seine Figuren zum Leben zu erwecken, Jugenderinnerungen mit Zeitgeist zu verschmelzen und emotional statt analytisch den aktuellen Zustand unserer (in diesem Fall französischer) Gesellschaft zu beschreiben. Wieder mal: ein großer Wurf.
Rainer Germann

Thomas Käsbohrer - Das Rätsel der Orcas (Millemari)

Zuerst ist es ein dumpfes Rumpeln. Ein unheimlicher Ruck, der durchs ganze Boot geht. Dann noch ein Stoß, der Schlimmstes befürchten lässt. Eine Untiefe, ein Kollision mit einem im Meer treibenden Baum oder einem über Bord gegangenen Frachtcontainer? Spätestens, wenn plötzlich die markante Rückenflosse auftaucht oder Schnauben und Prusten zu hören ist, besteht Anlass für Alarm. Orcas, die mit ihren Schwarz-Weiß-Zeichnungen wie die putzigen Pandas der Weltmeere wirken könnten, tragen den KillerwalNamen nicht ohne Grund. Der maritime Weltenbummler Thomas Käsbohrer aus Iffeldorf lässt sich nicht so schnell schrecken. Er geht den Dingen auf den Grund. Viele im Rückblick eher trostlose Jahre hatte er einst als Verleger am Schreibtisch verbracht, bis er seine „Levje“ kaufte und seitdem glücklich und zum Glück mitteilungsfreudig die Ozeane befährt. „Die vergessenen Inseln“ war ein Abenteuerbuch und Kultur-Report, der sich lange auf dem Mittelmeer tummelte. Jetzt ist Käsbohrer vor allem vor der iberischen Halbinsel unterwegs, wo sich seit Sommer 2000 Bizarres wiederholt: Immer wieder werden Segelyachten, die auf der sogenannten „Orca Alley“ unterwegs sind, von Killerwal-Banden attackiert. Meist wirken die Angriffe wie ein Spiel. Fast immer zerstören die Tiere gezielt das Ruder. Und das zuvor stolze Boot treibt hilflos auf den Wellen. Doch warum nur? Was treibt die Orcas an: Verteidigen sie ihren vom Menschen bedrohten und verschmutzen Lebensraum, verfolgen sie einen Racheplan oder stachelt sie brutaler Übermut an? Käsbohrers Buch liest sich wie ein Krimi. Und selbst wer noch nie ein Boot betreten hat, schippert begeistert mit. Zum Schwärmen. Take that, Frank Schätzing!
Rupert Sommer

Asta Nielsen - Im Paradies Illustriert von Kat Menschik (Galiani Berlin)

Asta Nielsen. War 29, als sie 1910 in ihrer ersten Filmrolle zum Weltstar avancierte. „Hedda Gabler“, „Hamlet“, „Fräulein Julie“, „Erdgeist“, „Kameliendame“ … bis Anfang der 1930er war sie im Kino und auf der Bühne präsent – und viel zu selbstbewusst, viel zu links, um sich je mit den Nazis einzulassen. Auf Konventionen gab sie nichts. Fast schon berüchtigt: Ihre Lebensfreude. Viele Sommer verbrachte sie in ihrem Ferienhaus auf Hiddensee, wo die Freunde, Künstler und Bohemiens wie Joachim Ringelnatz, Heinrich George, Paul Wegener oft und gern zu Gast waren. Im Paradies versammelt die besten ihrer Geschichten. Die spielen in München, Berlin, Kopenhagen, auf Hiddensee … da geht’s um einen köstlich schrägen Ausflug mit der Bahn ins Brandenburgische, eine herrlich exzentrisch aus dem Ruder laufende Geburtstagsparty in Schwabing, Christbaumschmücken mit ahnungslos unbedarften Italienern, Narreteien von Ringelnatz ... Erschienen ist der kleine, feine Band in der „Reihe der Lieblingsbücher“, hinreißend illustriert, liebevollst ausgestattet von der hoch berühmten Illustratorin Kat Menschik und mit einem zugeneigten Nachwort von Hiddensee-Impresario Karl Huck, der sich aufs Beschwören guter Geister versteht.
Hermann Barth

Mumia Abu-Jamal - Texte aus dem Todestrakt Essays eines politischen Gefangenen in den USA (Westend)

All die waffennärrischen NATO-Lakaien ignorieren gerne, dass deren Key Player USA die globale No. 1 ist bei Ausbeutung, Umweltzerstörung, Krieg und Rassismus. Selbst die Nazis holten sich dort Rat, als sie die Nürnberger Rassengesetze planten. Wie posh Rassismus in den ach so tollwestwertigen USA immer noch ist, zeigen nicht nur regelmäßige Streetstyle-Exekutionen von Schwarzen durch weiße Cops. Nirgendwo sonst darben so viele Leute im Knast, die meisten davon Afroamerikaner. Darunter politische Gefangene wie Mumia Abu-Jamal (seit 1981!), ein Journalist und Black-Panther-Aktivist. Der Prozess gegen Mumia erinnert an die Schauprozesse der Nazi-Justiz: Rechtsstaat vorgaukeln – dabei den Angeklagten zombifizieren und demütigen. Richter zum Staatsanwalt (backstage): „Ich werde ihnen helfen, den Nigger auf den elektrischen Stuhl zu bringen.“ Umso bewundernswerter die Coolness und Leidenschaft, mit der Mumia sich weiter für eine faire Gesellschaft engagiert. Das Buch versammelt über 50 Kurztexte des Autors, die besten davon zur Gefängnisindustrie der USA, dazu ein Interview mit ihm und eine Rekonstruktion des Falls durch Übersetzer Michael Schiffmann. Journalismus, der den Namen verdient!
Jonny Rieder

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