Was ist der Leib? Die kreative Instanz schlechthin! Wusste schon Nietzsche, bei Tracey Emins durchwühltem My Bed von 1998 kann man es sehen. Und Self-Fashioning ist wahrlich kein neues Phänomen. Schon der griechische Maler Zeuxis trug Kleider mit seinem Namen. Die Frühe Neuzeit bietet sich an, um das Thema näher auszuloten. Der schöne (sexbesessene) Raffael also, der sehr schöne idealisierende Bilder (von sich) malt, Dürer, der sich ständig mit sich selbst befasst, seinen Körper betrachtet, in seinen bis ins kleinste Detail durchgestylten Selbstporträts ein selbstbewusstes Künstler-Ich präsentiert – Tagebuch führt, verwirrende Träume notiert und seinem Schuster schon mal aufzeichnet, was er für schickes Schuhwerk braucht. Michelangelo beklagt die üble Schinderei beim Ausmalen der Sixtina, Dürers Spezl Pirckheimer notiert jedes Leibzwicken, schreibt schließlich ein „Lob der Gicht“. Und der exzentrische Francesco Borromini schafft es noch, ein Ego-Dokument seiner Selbst-Entleibung (ins Schwert stürzen, wie Cato) für die Nachwelt zu diktieren. Andreas Beyer präsentiert mit Verve, stupender Kenntnis, unterhaltsam (und mit vielen Abbildungen) wie Künstler-Leib und Künstler-Ich zusammengehen. Ein Lesevergnügen.
Hermann Barth
Kreuzberg hat ‘nen Zündler. Sein Opfer: das gesalbteste aller teutonischen Heiligtümer. Endslogo, dass gleich eine Bürgerwehr patrouilliert und die Großdruckgazetten Amok laufen, wenn in Krauthausen die Blechtempel brennen. Ein angekokelter Wermutbruder wird zum Medienheld und bringt sich in Missionarsstellung. Definiert den Brand als Fegefeuer und findet zu Jesus. Dann noch der Zündler, ein Jünger Jahwes, der sich im Schritt rubbelt, wenn die Flammen lodern. Schupfis Spinnerquote stimmt, darauf ist Verlass. Hinter diesem Bühnenbild vercheckt er sein eigentliches Anliegen: Gewalt gegen Frauen. Die kommt mal auf der Psychospur wie in der Staatsmarionettenabteilung, wo Bulette Romina von ihren männlichen Kollegas gedisst wird, einfach, weil sie eine Frau ist, mal handfest, wie der Typ, der seine Argumente beim Streit mit der Freundin per Faust unterstreicht, mal scheinheilig wie die Bibelsabberer, die sich an zwölfjährigen Mädels vergehen, um ihnen „den Unflat der Frauen abzuwaschen“. Im Dienste Old Jahwebabys versteht sich. Amen. Und all der Scheiß. Auch mit dem dritten Berlinator nach Berlin Prepper und Berlin Heat blaulichtert Johannes Groschupf feinstes Gossenkino auf den Asphalt. Straight und abgefuckt wie die Spreehood.
Jonny Rieder
Hereingestolpert in eine eisige, trostlose Glitzerwelt, in der jeder Gegenstand, aber auch jeder Mensch, einen Preis hat: Beauftragt von kühl rechnenden Strippenziehern, die um die Herkunft und den aktuellen Aufenthaltsort ihrer Vermögen ein vornehm zurückhaltendes Geheimnis machen, spült es den zuvor schon mit allerlei Wassern gewaschenen Hochfinanz-Glücksritter Anton an einen neuen Schauplatz. Nur dass diesmal die Staatsform noch undurchsichtiger ist, die Netzwerke der Macht noch engmaschiger und die Gewaltbereitschaft höher: nach Kasachstan. Der sprachgewandte und postsowjetisch korruptionserfahrene Deutsche soll aus dem Nichts ein gigantisches Stahlkonglomerat aus dem Steppenboden stampfen. Und so aktiviert Anton noch einmal all seine dunklen Instinkte: Er findet heraus, wer im örtlichen Poker der Rohstoffund Energie-Mächtigen das Sagen hat, schließt kühn Allianzen, trinkt sich durch die elegantesten Bars, schläft sich durch diverse Lotterbetten und schafft es, noch einmal Tinte unter den Teufelspakt zu setzen. Fast zumindest. Es ist nämlich eine Geschichte von Vergeblichkeit und vom Wunsch, endlich aussteigen zu können aus einem verkommenen Spiel. Eigentlich zieht es Anton raus aus den Business Lounges und brutalistischen Hotelbunkern – hoch hinauf in die Gletscherwelten des Tian Shan-Gebirges. Doch mit Romantikern macht der Raubtierkapitalismus kurzen Prozess.
Rupert Sommer