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„Münchner Schiene“ auf dem Literaturfest - Interview mit Kurator Benedikt Feiten

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Kuratieren spannende Programmreihen: Tanja Maljartschuk und Benedikt Feiten
Benedikt Feiten (Kurator der Münchner Schiene) und Tanja Maljartschuk © Catherina Hess

Erstmalig gibt es beim Literaturfest München eine Münchner Schiene. Vom 28.11. - 02.12. gilt es die Vielfalt der hiesigen Szene zu erfahren. Benedikt Feiten, Kurator des Programms im Gespräch:

Benedikt Feiten, selbst Autor und Musiker, denkt Literatur nicht in Sparten, sondern in andere Künste hinein. In dem von ihm kuratierten Programm treffen Prosa, Lyrik, Drama, Poetry Slam und Comic auf Gesang (Chor), Instrumental-Musik, elektronische Klänge, Freestyle-Rap und Tanz. Seine erste »Münchner Schiene« ist ein Aufruf, das Grübeln sein zu lassen und das spontane Zusammenkommen, den Austausch im Moment zu feiern. Wir durften ihn zum Gespräch treffen!

Hallo Herr Feiten. Beschreiben Sie doch mal die Münchner Nachwuchs-Literaturszene. Wie nehmen Sie sie wahr?

Der Nachwuchs in der Literatur ist ja ein besonders schwammiger Begriff. Man kann in dem Bereich auch mit Mitte 30 noch Nachwuchs-Preise gewinnen. In den Werken der jungen Autor*innen gibt es schon wiederkehrende Spezifika, die auf München zutreffen, in Form von Schauplätzen o.Ä., was ja zum Beispiel mit dem Silent Sound Hörspiel zum Text Rinus Silzles in der Roten Sonne auch im Programm spürbar ist. Insgesamt zeigt sich die Szene sehr vielfältig, auch wenn München sicher vielen ähnliche Reibungspunkte nahelegt. Ob man daraus einzelne Strömungen destillieren kann, weiß ich nicht. Jedenfalls wären für jeden Abend der Münchner Schiene locker zehn weitere wunderbare Schriftsteller*innen und Kunstschaffende in Frage gekommen. Darum fände ich es wichtig, dass diese Münchner Schiene nur ein Startschuss ist und danach noch viel kommt.

Fördert München durch die prekären Lebensverhältnisse in denen viele Kunstschaffende leben, sozial engagiertere Texte und Kunst? Ihr eigener Roman „Hubsi Dax: Eine Wirtshauslegende“ und Markus Ostermaiers „Der Sandler“ seien als Beispiele genannt.

Das so wirklich zu verallgemeinern, ist immer schwer. Aber ich habe schon den Eindruck, dass - egal ob in Literatur oder anderen Kunstformen - die Leute hier eine klare Vorstellung davon haben, woran sie sich reiben. Was ihre Widerstände sind und welche Rolle sie darin einnehmen. Natürlich gibt es in dieser Stadt eine große Schere zwischen dem Champions-League Anspruch à la FC Bayern, Riesenkonzernen wie Amazon und dem was Markus Ostermaier in „Der Sandler“ beschreibt, aber wenn man sich alle Neuveröffentlichungen aus der Stadt anschaut, weiß ich nicht, ob sich das Soziale als Fokus durch alle zieht – was es ja auch gar nicht muss.

Wie wurden Sie denn der Kurator der Münchner Schiene?

Letztlich wurde ich gefragt. (Lacht.) Ich würde die Frage gerne ans Literaturhaus weitergeben. Ich fand es aber sehr spannend und weiß, dass es von vielen Menschen schon länger ein Wunsch war eine größere Sichtbarkeit der Münchner Szene(n) im Literaturfest herzustellen. Ich vermute, dass eventuell auch meine Lesung mit Live-Coding im Literaturhaus oder der Anschluss an Musikszenen Beweggründe dafür waren, mich zu fragen. Natürlich ist es eine große Ehre für mich, dass in diesem Kontext an mich gedacht wurde. Gleichzeitig gibt es aber auch viele, die das genau so gut können und das hoffentlich in den nächsten Jahren auch auf möglichst vielfältige Weisen gestalten dürfen.

Wie fühlt sich die Rolle als Kurator an?

Ich hab da verschiedene Gefühle dazu. Einmal hat man den ständigen Gedanken, dass das Programm begrenzt ist und viele fantastische Menschen mit ihren Projekten nicht unter zu bringen sind. Das hat mir erstmal Sorgen bereitet. Daher ging ich von den Formaten denkend an die Sache ran und hab mich um die Begegnung verschiedener Kunstformen bemüht, weil das mich einfach immer sehr berührt. Obendrein bin ich Annegret Liepold und Katrin Lange vom Literaturhaus sehr dankbar, die kräftig mitgestalten und mit denen ich immer quatschen konnte. Ich bespreche die einzelnen Abende gern mit den Beteiligten und jeder bringt seine Bedürfnisse ein und dann schaut man sich an: Wie kann das zusammengehen? Es kommt dabei so viel Impuls von den Künstler*innen, dass so eine Rolle als „großer Kurator“ gar nicht so sehr zum Tragen kommt, weil sich alles eher gemeinsam erschließt, was ich sehr schön finde.

Da Kunstformen aufeinander treffen, finden viele Abende auch an nicht klassischen Literaturorten statt. Wie kommt das?

Das Ganze kommt ja von den Themen und Formaten her und wir haben uns schon früh bemüht, passende Orte zu finden. Zum Beispiel findet der Abend mit Slata Roschal und Martin Kordić, der sich um das Schreiben über das nicht dazugehören dreht, in der Favorit Bar statt. Die hat sich unter anderem mit der Reihe Monokultur München schon lange damit beschäftigt, wie die Stadtkultur im Bezug auf Gemeinschaft und Ausschluss ausgeformt ist. Ein Gemeinschaftsabend im Bellevue Di Monaco (30.11.), wo sich beim Open House regelmäßig neue und alte Münchnerinnen und Münchner – geflüchtet oder nicht – treffen, passt auch wunderbar. Der relativ neue Zirka Space widmet sich interdisziplinärer Raum- und Kulturarbeit und beheimatet unseren Live-Impro-Abend, wo es quer durch die Sparten geht. Und dass die Kopfkino-Crew in der roten Sonne (2.12.) ein Live-Hörspiel präsentiert, in dem es ums Wegbrechen der Clubkultur in der Corona-Zeit geht, ist obendrein glückliche Fügung.

Inwiefern war es Ihnen bei der Programmzusammenstellung wichtig die Münchner Szene vorzustellen und inwiefern war es wichtig an aktuelle Diskurse anzuknüpfen?

Nun erstmal wollte ich unterschiedliche Kunstformen vorstellen, die nicht in einzelne Abende unterteilt sind, wie etwa eine Lyrik-Veranstaltung, ein Prosa-Event und immer so weiter. Es sollte sich alles durchmischen und begegnen. Am „Geisterfahrt“-Abend (2.12. Gasteig) antworten zum Beispiel Autor*innen von heute aus Drama, Prosa und Spoken Word, auf die großen Literat*innen von früher, die wabernd immer in Diskursen über Münchner Literatur präsent sind. Dass das Programm auch an eigentlich immer aktuelle Diskurse wie Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Selbst- und Fremdbilder anschließt, erwächst dann eher aus dem Schaffen der beteiligten Künster*innen.

Abseits von ihrem Programm: Welcher Termin vom Literaturfest ist für Sie ein Muss?

Den Markt der Unabhängigen Verlage am 26. und 27.11. sollte eigentlich jeder Mensch mitnehmen, der sich für Literatur interessiert, weil die Indies einfach so wunderschöne Bücher machen und man an einem Ort so viel frische und überraschende Titel findet. Und das komplette von Tanja Maljartschuk kuratierte Forum-Programm, das sich um Europa in Zeiten des Krieges dreht, ist so dicht und kraftvoll – ich hoffe, im Orga-Endspurt irgendwie dabei sein zu können, ob am Montag im Ampere, Mittwoch im Lyrik Kabinett oder Donnerstag im Literaturhaus.

Um Sie mal vor den Kopf zu stoßen: Welche drei Bücher -mit oder ohne Münchenbezug- sollte man auf dem Nachtkastl liegen haben?

Boah, das einfach so spontan zu sagen ist nicht leicht. Texte auf die ich immer wieder gern zurückkomme, die ich auch kürzlich schon mal nannte sind: Lucia Berlin - „A Manual for cleaning women“, Toni Morrison - „Jazz“ und Ryunosuke Akutagawa - „Rashomon“. Beim München-Bezug würd ich neben dem erwähnten „Der Sandler“ aktuell „Iglhaut“ von Katharina Adler nennen. Joana Osmans „Am Boden des Himmels“ ist wiederum ein Beispiel für einen wirklich starken Roman einer Münchnerin, der weit entfernt von München spielt. Aber ich freu mich auch darauf, nach dem Literaturfest wieder Zeit zum lesen zu haben, denn mir wurden schon etliche spannende Titel ans Herz gelegt, die ich noch gar nicht kenne.

Vielen Dank für das Gespräch!

Münchner Schiene im Rahmen des Literaturfests
28.11. - 02.12.
Weitere Infos und Tickets gibt es hier

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