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Tote-Hosen-Frontmann Campino: „Viele Dinge fühlen sich schon seit Jahren so an, als wäre ich 60“

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Von: Andreas Platz

Tote-Hosen-Frontmann Campino
Feiert gern spontan, bevorzugt beim Bad in der Menge: Campino © Tereza Mundilova

Tage wie diese: Bei Tote-Hosen-Frontmann Campino jagen sich die Jubiläen. Ihr 40-Jahre-Fest steigt am 18. Juni im Olympiastadion. Und dann steht auch noch ein runder Geburtstag an

Hallo Campino, Marcel Proust musste ja angeblich nur an einer Art Gebäck riechen – und schon war er wieder in der Vergangenheit. Welcher Duft oder Geruch ruft denn bei dir nach 40 Jahren Tote Hosen die Anfangszeit noch mal schlagartig in Erinnerung?
Der Geruch der Anfangszeit wäre ein diffuses Gemisch aus alten Socken, verschwitzten Turnschuhen und synthetischer Kleidung, die mehrere Tage lang hintereinander getragen wurde. Diese Phase war olfaktorisch gesehen ein Albtraum.

Nicht ganz ungewöhnlich für junge Bands.
Das stimmt, allerdings hatten wir damals so einen Wettbewerb am Laufen, wer es am längsten aushält, ohne seine Klamotten zu waschen.

Oh je.
Wir haben das ganz sportlich gesehen und waren der Meinung, als Tote Hosen gehört sich das auch irgendwie. Aber für das Umfeld war es nicht immer schön, das zu ertragen.

Auch ein wenig Respekt- und Angstschweiß in den Bühnenklamotten? Oder eher der Duft von Selbstüberschätzung?
Angstschweiß nie! Testosteron eigentlich auch nicht. Wir waren keine Männer-Poser-Truppe, aber auch kein Kegelclub. Bei uns ging es um Lebensfreude und Spaß. Natürlich wird es auch immer irgendwie nach Alkohol gerochen haben. Darauf kann man Gift nehmen.

Was für Alkohol – das Naheliegende wie Bier und Schnaps? In euren Songs kommen ja immer wieder auch ganz ungewöhnliche Getränke vor?
Wir haben grundsätzlich alles genommen, was irgendwie auf den Tisch kam. Da waren wir nie wählerisch. Es ging ja letztlich immer um das Mittel zum Spaß, um miteinander einen guten Abend zu zelebrieren.

Campino

Mit dem Herzen in Liverpool: Campino kam am 22. Juni in Düsseldorf in einem deutsch-englischen Elternhaus zur Welt. 1982 stürmte er mit der Band Die Toten Hosen erstmalig eine Bühne in Bremen, wo der Veranstalter allerdings versehentlich „Die Toten Hasen“ angekündigt hatte. Keine Verwechslungsgefahr besteht beim großen Freiluft-Fest-Gig am 18. Juni im Olympiastadion. Die Band hat auch alle großen Hits aus dem aktuellen „Alles aus Liebe“-Album dabei.

Nach so sympathisch unentschlossenen Anfängen: Wie fühlt es sich denn nun eigentlich an, fast schon staatstragende Interviews zu vier Jahrzehnten Band-Geschichte zu geben?
Dass es uns so lange geben würde, war damals natürlich nicht abzusehen und wundert uns selbst bis heute am meisten. Wenn wir nur darauf schauen, wie die ganze Sache losgegangen ist und wie unser Lebensstil aussah ... Wir können jetzt mit jedem Tag unser Glück mehr würdigen. Dass wir auch nach all den Jahren noch Freunde sind, ist für mich der größte Segen – und dass es daran nie Zweifel gab.

Jede Band geht ja durch Phasen und hat wohl auch ihre anstrengenden Geschichten. Aber das Ideal der Freundschaft: Das war bei euch nicht nur ein Lippenbekenntnis nach außen?
Es hat gehalten. Damit muss ich auch nicht hausieren gehen. Wer sich verabredet, zusammen in einem Grab auf dem Südfriedhof beerdigt zu werden, der meint es ernst mit der Freundschaft. Das bedeutet ja nicht, dass es keine Schwierigkeiten gegeben hat. Auch Freunde können sich sehr streiten. Aber wir haben immer wieder Lösungen gefunden. Alle unsere Auseinandersetzungen waren immer vom gegenseitigen Respekt erfüllt. Das hat die Sache einfacher gemacht.

Aktuell hagelt es aber runde Jahrestage: 40 Jahre Band, Campino feiert seinen 60. Geburtstag. Ganz schön viel Historie.
Ich bin ein Sommerkind, weil ich ja im Juni geboren bin. Das war für uns schon immer ein typischer Zeitraum, in dem wir sehr häufig auf Tournee waren. Ich kenne das also ganz gut, meinen Geburtstag in der Öffentlichkeit zu feiern – auf der Bühne oder in einem Konzertsaal. Das war mir eigentlich nie wirklich recht, aber ernsthaft gestört hat es mich dann auch nicht. Ich habe bislang nie aus meinem Geburtstag eine große Sache gemacht und wollte auch nicht an solchen Anlässen eine Party geben. Tatsächlich bin ich ein Typ, der spontane Feiern bevorzugt.

So einfach wird das diesmal aber wohl nicht.
Das stimmt, 60 ist in jedem Menschenleben ein Meilenstein. Somit ist es auch in Ordnung, dass die Leute mich fragen, wie ich mich fühle. Ich bin der Letzte, der sich selber vorgaukelt, dass mein Leben noch irgendwas mit dem eines 30-Jährigen zu tun hat. Nichts läge mir ferner, als mein Alter auszublenden. Ich nehme es immer mit auf die Bühne. Und wenn ich Texte schreibe, dann schreibe ich sie auch aus der Sicht eines jetzt bald 60-Jährigen. Um ehrlich zu sein: Viele Dinge fühlen sich schon seit Jahren so an, als wäre ich 60. (lacht)

Fußballspielen?
Solche Sachen. Da sollte man nicht mehr versuchen, sich mit den Jungen zu messen.

Oder sich eine geeignete Mannschaft zusammenstellen, mit der man glänzen kann.
Genau. Und dann immer dirigieren!

Der eigentliche Geburtstag findet dann ja zwischen dem Münchner und dem Düsseldorfer Konzert der Toten Hosen statt. Da muss man sich dann aber nicht Sorgen machen, dass du in München früher Schluss machst, damit du noch deine Geburtstagsrede auswendig lernen kannst?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir freuen uns wahnsinnig auf München, weil wir im Olympiastadion viele tolle Momente erlebt haben. Es war und ist immer ein Spaß, in München aufzutreten. Mein Geburtstag wird der Tournee untergeordnet. Er findet für mich eigentlich gar nicht richtig statt an dem Tag. Ich feiere das dann nach der Tournee. Da gibt’s vielleicht im engsten Kreis ein Glas Schnaps oder Schampus. Oder mehr. Wie genau ich das machen werde, weiß ich noch nicht. Wir konzentrieren uns erst einmal auf die Konzerte.

Das Kopfweh vom Champions League-Finale wird bis zum München-Gig ja schon verflogen sein, oder?
Rund ums Finale hatte ich schon länger alles geblockt. Und natürlich auch den Tag nach dem Finale – unabhängig davon, wie die Sache ausgeht. Ich möchte dann auch nach Liverpool fliegen. Man muss einfach erleben, was da auf der Straße los ist.

Und dann ins Olympiastadion. Früher wäre so ein großes Stadion für euch ja eine Selbstverständlichkeit gewesen. Wie sehr hat sich das Gefühl, in so großen Arenen zu spielen, doch geändert, weil das ja in den letzten zwei Jahren oft gar kein Thema mehr sein durfte?
Die Sorge fährt immer mit. So werden das alle Künstler, die sich in diesem Sommer wieder auf die Bühnen trauen, empfinden. Nach wie vor gibt es auch sehr viele Bestimmungen, die einzuhalten sind. Viele Zuschauer haben noch Bedenken, Ängste und Sorgen. Sie bleiben im Allgemeinen vorsichtig und das kann man ihnen ja auch nicht übel nehmen. Allerdings haben dadurch viele Bands und Künstler Probleme beim Kartenverkauf. Das ist einfach so. Uns ist völlig klar, dass wir uns mit einem großen Risiko auf den Weg machen, weil es immer wieder zu neuen Bestimmungen kommen könnte, die dafür sorgen, dass wir Konzerte evtl. doch nicht spielen können – und es gibt inzwischen keine Versicherung mehr, die pandemiebedingte Absagen noch tragen würde. Aber wir sind zuversichtlich und richten uns nach euch in Bayern.

Wie das?
Wir haben uns wahnsinnig gefreut, dass das Oktoberfest stattfindet. Wenn das möglich ist, muss auch ein Tote-Hosen-Auftritt möglich sein.

Ich denke mal nicht, dass die Band wackelige Knie hat, wenn es raus auf die große Bühne geht. Aber so ganz spurlos kann das ja an keinem Künstler vorbeigegangen sein, als die übliche Maschine nicht nur ins Ruckeln kam, sondern dann jäh ganz heruntergefahren wurde.
Wir sind es als Band gewohnt, dass wir zwischendurch Phasen haben, in denen wir nicht auftreten. Aber dieses sorglose Fest, das wir uns vor Jahren mal für unseren 40. Bandgeburtstag ausgemalt hatten, wird so nicht stattfinden können. Es gibt ja nicht nur Corona, sondern in Europa ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ausgebrochen. Wer weiß schon, wie es in der Ukraine weitergeht? Auch diese Ängste sind überall zu spüren. So etwas nimmt man automatisch immer auch ein Stück weit mit auf die Bühne. Man kann das nicht einfach ignorieren.

Wie greift man solchen Ernst auf?
Die Frage, wie ich mit diesem Thema umgehe, muss ich mir an jedem Abend neu stellen. Sie braucht auch immer neue Antworten, je nachdem was in der Welt geschieht. Und dann gilt es, die richtigen Worte zu finden. Das ist letztendlich unser Job. Es geht doch darum, in diesem Sommer nach all der Verunsicherung der letzten wirklich schlechten Jahre wenigstens ein paar Glücksmomente zu schaffen. Wir wollen ein Ventil sein und Lebensfreude versprühen. Die gibt dann Kraft, um weiterzumachen. Wer weiß schon, was der Herbst bringt.

Kraft dürfte der Band ja auch gegeben haben, ein bisschen auf den Bauchnabel und natürlich die Erfolge über so lange Zeit hinweg zu blicken. Wie habt ihr eigentlich die Songs ausgewählt, die euch jetzt in dem neuen „Alles aus Liebe“-Album besonders wichtig sind?
Es ist immer spannend, wie sich im Rückblick das Verhältnis zu manchen Liedern verändert. Wir wollten weniger eine „Best of“ zusammenzustellen als eine Anthologie. Es sind die Lieder, die für uns Schlüsselmomente bedeutet haben. Echte Wendepunkte, die uns wichtig waren. Gleichzeitig haben wir versucht, die neuen Stücke so gut in das Gesamtwerk zu integrieren, dass sie nicht als Füllmittel empfunden werden, sondern eine eigene Kraft entwickeln. Wir haben uns mit den neuen Songs genauso viel Mühe gegeben, als wären sie für ein vollständiges neues Studioalbum entstanden.

So eine Auswahl zu treffen, dürfte ja auch ein bisschen daran erinnern, wie man früher ein Mixtape für einen geliebten Menschen zusammengestellt hat. Keine leichte Aufgabe – und oft ein Job für schlaflose Nächte.
Na klar. Wir haben 43 Lieder auf dieser Compilation. Jeder von uns hat im Vorfeld seine persönliche Lieblingsliste runtergeschrieben und dann haben wir das Ergebnis verglichen: Die ersten 20 Stücke waren bei uns allen deckungsgleich. Es gibt eben Songs wie „Hier kommt Alex“ oder „Liebeslied“. Da haben wir alle gleichermaßen das Gefühl, dass uns da etwas Gutes gelungen ist. Als es dann um die weiteren Lieder ging, klafften die Meinungen innerhalb der Band dann auch schon mal ordentlich auseinander und wir haben intensiv darüber diskutiert, warum uns manche Lieder wichtiger waren als andere. Es ging immer wieder um die Frage, welcher Song hat der Band wirklich noch mal einen anderen Weg aufgezeigt. Im Endeffekt haben wir aber wie üblich Mehrheitsentscheidungen getroffen. Und auf das Ergebnis sind wir ziemlich stolz.

Interview: Rupert Sommer

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