IN-München-Review: So wars ... bei Heaven 17

Can’t Let Go: Heaven 17 brillieren in der Backstage Halle mit Synthiepop und Soul
Okay, das erste Stück schon mal verpasst, shame, shame, shame. „ (We Don’t Need This) Fascist Groove Thang“ brachte 1981 auch Clash-Fans zum Tanzen, erklärte den Dreireiher zum Revolutionsoutfit und reihte Heaven 17 neben anderen Synthiepopbands wie The Human League, Depeche Mode und Orchestral Manoeuvres In The Dark als den neuesten heißen Shit ein. Mit einem kleinen Unterschied: Das Musikproduktionsprojekt British Electric Foundation (B. E. F.), welches Ian Craig Marsh und Martyn Ware nach ihrer Trennung von The Human League gegründet hatten, wurde mit dem neuen Sänger Glen Gregory über Nacht zu einem politischen Sprachrohr einer zwar gut gekleideten, aber nicht auf den Kopf gefallen Jugend. Tempi passati. Oder?
Die bestens gelaunten Masterminds Glen Gregory und Martyn Ware beweisen in der ausverkauften Backstage Halle über 40 Jahre später und immer noch bei bester Stimme warum „Crushed By The Wheels Of Industry“ und „Penthouse And Pavement“ sozialkritische Gassenhauer und „We Live So Fast“ und „Let’s All Make A Bomb“ aktueller denn je sind. Die Mischung macht’s: den von Barry Mann geschriebene Klassiker „You’ve Lost That Lovin’ Feelin’“ intonieren Gregory und Ware in einem Gänsehaut-Duett nebst dunklen, distorted Synthie-Sounds, für die Martin Gore töten würde; das nach eigener Aussage Lieblingsstück der beiden, die bestens gelaunt viele Songs mit britischem Humor und diversen Anekdoten garnieren, heißt „Can’t Let Go“ und wird in einer hollywoodreifen Version dargeboten. Kleine Steigerung gefällig? Kein Problem: Nach einem clubreifen Ibiza-House-Intro brillieren neben Florence an den Keyboards die beiden Sängerinnen Kelly und Rachel bei der 40. Geburtstagssause von „Temptation“, einem Song, der wie wenig andere Synthiepop und Soul vereint und berechtigt zu den größten Hits der 1980er Jahre zählt.
Doch nicht genug: Mit einer wirklich formidablen Version von David Bowies „Let’s Dance“ (Gregory tourte bereits mit Tony Visconti für eine Bowie-Tribute-Show) und dem nicht minder mitreißenden „Being Boiled“ von Human League, das Martyn Ware 1978 geschrieben hat und immer noch klingt, als wäre es gestern aufgenommen worden, feiert dieses wunderbare Ensemble sein Tour-Finale. Selten eine Band so gut drauf gesehen - obwohl die Show vom großen Werk in die kleinere Halle verlegt wurde. Dass, wie Glen Gregory launisch bemerkt, das Projekt Heaven 17 vor 40 Jahren eigentlich nicht als Live- sondern Video-Act angelegt wurde und er jetzt aber trotzdem schwitzend auf der Bühne steht – ein Glücksfall, auch für das enthusiastische Publikum. Bravissimo.
Autor: Rainer Germann