IN-München-Review: So wars ... bei Fenne Lily

Die überaus sympathische, zuweilen aber etwas sehr redselige Fenne Lily, präsentiert ihr großartiges neues Album „Big Picture“ und überzeugt dabei trotz Erkältung
Es ging beschaulich los, denn Naima Bock war als Support angekündigt. Ja, schon mal gehört den Namen, klar, ist sie doch im Roster des altehrwürdigen Sub Pop-Label vertreten, aber mehr eben auch nicht. Solo saß sie dann auf der Bühne mit zerbrechlicher, meist recht hoher Stimme, einzig zur akustischen Gitarre intonierend. Ich bewundere diese Art des Auftritts, bei dem dann oft die Songs im Vordergrund stehen. Leider fehlt mir zu Bock’s Songs etwas der Zugang, zu wenige bis keine Hooks, zu gängige, sich wiederholende Akkordfolgen. Folglich also eher so die atmosphärisch-ätherische Yoga-Folk-Abteilung, nicht direkt unangenehm aber eben auch nicht zwingend. Also rauf zu Ingo Beckmann, seines Zeichens Chef der Schoneberg-Außenstelle München, an die Abendkasse: Bierchen, Kippe und wie immer interessantes Gespräch. Natürlich zur aktuellen Situation der Konzertbranche, und die ist nach wie vor: beschissen. „Vor allem für die kleineren und mittleren Bands“ meinte Beckmann, jene also, „die im Strom und der Milla oder so spielen.“ Warum dem so ist: „Oft sind die Konzerte zu teuer.“ Die Leute so Beckmann weiter, würden ihr Geld für die großen Acts ausgeben, weshalb für den Unter- und Mittelbau dann oft nichts mehr übrig bleibt. Ein mega Problem fürwahr, nur wie dagegen angehen? Billiger machen? Oft nicht möglich, bei aller Liebe! Alles ist teuerer, zudem ist fähiges, bezahlbares Personal Mangelware geworden, seit Corona - wir erinnern uns, dass die Beschäftigten in der Unterhaltungsindustrie sich alle andere Jobs suchen mussten - den zahlreichen, öfter auch als unverhältnismäßig gebrandmarkten Lockdowns sei Dank. Umso erfreulicher, dass jemand wie Beckmann seinen Job noch weiter so engagiert ausübt, selbst wenn es auch bei ihm knapp war zwischenzeitlich. Aber er sei ja im Prinzip sowieso eine „One-Man-Show“, wie er sich selbst bezeichnet, und kümmert sich bei den Konzerten die er veranstaltet, bis zu einer gewissen Größe, geradezu aufopferungsvoll um alles selber. Von der gesamten Organisation übers Catering, die Abrechnung, die Abendkasse und sogar als Stagehand und Merchandiser geht er den Bands, die keine Begleitung auf Tour mit dabei haben, gerne zur Hand. Die gute alte Veranstalterschule eben, 360 Grad. Mag ich sehr, deswegen: Maximum Respekt! Dann aber überlegt Beckmann laut, um zu unserem Ausgangsthema zurückzukommen: „Dynamic Pricing“. Mein Protest folgt sofort: Turbo-kapitalistische Abzocke! Eigentlich habe ich für „Abzocke“ glaube ich, einen anderen Kraftausdruck verwendet, den ich hier aber nicht hinschreiben mag.
Schon hörten wir unten in der Milla Jubel aufbranden, weswegen unsere Diskussion endete und wir uns auf den Weg in den Keller machten. Los ging’s bei Fenne Lily, mit den drei Eröffnungsstücken ihres soeben erschienenen, fantastischen Album „Big Picture“: „Mad Of Japan“, das mit seiner Cigarettes After Sex-Grandezza verzaubert, gefolgt von „Downcolored Horse“, das so oder ähnlich auch von Courtney Barnett sein könnte und „Light’s Light Up“. Die drei großen Hits gleich am Anfang des Sets zu platzieren, war mutig, zeigte aber Wirkung. Denn von da an hatten Fenne Lily und ihre drei Begleiter, allesamt geschätzt zwischen 22 und 26, äußerst versiert und gut eingespielt, natürlich die volle Aufmerksamkeit der etwa 150 enthusiastischen Zuhörerinnen und Zuhörer. Zum schleppenden 6/8tel-Groove von „Henry“ holte Fenne Lily ihre Freundin „Naima Boooooooog“, also mit weichem „ck“ gewissermaßen, zurück auf die Bühne, um das Quartett gefühlvoll am Milla-Piano zu begleiten. Nach einem weiteren Song zusammen mit Bock kam dann „Berlin“ in dem Fenne Lily ihre Erfahrungen im Berghain verarbeitete: ein wilder Abend muss das gewesen sein, mit „Sex on the floor“, also andere, denn Lily war solo unterwegs, und Nasenbluten, in dem Fall die eigene. Überhaupt war sie äußerst gesprächig und gut gelaunt dafür, dass sie ungefähr drei bis vier Mal darauf hinwies, dass sie sich eine Erkältung eingefangen hätte und sich krank fühle, weswegen sie auch nicht zum Merchstand kommen wollte um ja niemanden anzustecken. Sehr fürsorglich, danke dafür. Ungewöhnlich auch für mich persönlich, dass ich im Grunde außer dem Veranstalter und meiner Frau niemanden kannte, und das, obwohl ich doch schon einigermaßen konzert-, vor allem auch indie-affin sozialisiert bin und eigentlich so gut wie immer irgendwelche Nasen aus der erweiterten Bubble treffe. Aber: Fehlanzeige! Was aber im Grunde auch gar nicht so schlimm war, denn so konnte man sich uneingeschränkt und vor allem unabgelenkt dem vorzüglichen Vortrag von Fenne Lily und ihrer wirklich guten Begleitband widmen. Besonders hervorzuheben dabei ist ihr Lead- und Effekt-Gitarrist, dessen Namen sie zwar erwähnte, den ich aber leider nicht verstanden habe. Egal, auf alle Fälle spielte dieser all die wunderschönen Singlenote-Gitarren, die leider manchmal etwas (zu) leise waren, und legte immer wieder auch stimmungsvolle Klangteppiche via Effektgerät. Welche dann auch die einzigen digital-elektronisch klingenden Elemente waren in einem ansonsten ultra-analogem Sound. Dieser war wie so oft in der Milla top, die Band - trotz Erkältung - eigentlich bester Laune und das Publikum dankbar und aufmerksam. Am Ende waren es halt einfach auch bloß wieder mal die 100 Leute zu wenig im Auditorium, um die Veranstaltung einigermaßen rentabel zu machen. Und wenn dem weiter so bleibt, und alle nur noch zu Rammstein, P!NK, Harry Styles und Helene Fischer rennen und ihr jährliches Ticketbudget, für einen, maximal zwei Acts anstatt für derer zehn oder 12 ausgeben, wird bald neben dem Klimawandel und dem Artensterben ein ganz anderer Wandel (nämlich in der Popkultur) und ein „Sterben“ (das der Musikerinnen und Musiker aus dem Indie- und Undergroundbereich) einsetzen. Bis dahin sind Ingo und ich aber hoffentlich schon in Rente!
Autor: Gerald Huber