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Verbotene Gefühle: „Sparta“ von Ulrich Seidl

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„Sparta“ von Ulrich Seidl
„Sparta“ von Ulrich Seidl © Damned Films

Ulrich Seidl holt uns mit „Sparta“ aus der bequemen Komfortzone, konfrontiert uns mit menschlichen Unwägbarkeiten und wagt eine Gratwanderung

Letzten September platzte die Bombe, als der SPIEGEL mit massiven Vorwürfen gegen den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl und dessen Drehbedingungen bei „Sparta“ zu Felde zog. Es ging nicht um den Film, den wohl niemand gesehen hatte, sondern um Gerüchte: um Gewalt und Nacktheit am Set, mangelnde Aufklärung der Eltern über das Thema Pädophilie. Seidl widerspricht allen Anschuldigungen, so waren die jugendlichen Darsteller permanent pädagogisch betreut, und die Eltern wussten über die wesentlichen Inhalte des Films Bescheid, was auch die Recherchen des österreichischen Magazins „Profil“ bestätigten.

Mit „Sparta“, dem zweiten Teil eines filmischen Diptychons über zwei Brüder und ihre schmerzhafte Selbstfindung, liefert der wegen seiner eigenwilligen Arbeitsmethoden mit Laiendarstellern öfter umstrittene Regisseur ein einfühlsames und eines seiner besten Werke. Den Protagonisten Ewald (phänomenal Georg Friedrich in seiner Gebrochenheit) kennen wir als Bruder des abgehalfterten Schlagersängers Richie in „Rimini“ (siehe Heimkino). Der in Rumänien arbeitende Ingenieur verlässt seine auf Heirat drängende Partnerin, er fühlt sich zu Kindern hingezogen, versucht aber, seine Neigung zu unterdrücken. In einer ärmlichen Einöde renoviert der Mittvierziger eine alte Schule, wo er den Dorfjungs Sport und Spiel anbietet, sie in dem zur Festung ausgebauten Camp „Sparta“ als römische Krieger herummarschieren lässt.

Für die Kinder: Kleine Fluchten und ein wenig Unbeschwertheit im Gegensatz zum Elternhaus, wo der prügelnde Vater schon mal seine Söhne zwingt, ihr geliebtes Kaninchen zu schlachten, um zu lernen, „böse und brutal“ zu sein. Ewald macht Fotos von den leicht bekleideten Jungs und projiziert sie abends an die Wand, wird aber nie übergriffig, auch wenn seine Blicke Bände sprechen. In der ach so skandalösen Duschszene ist er nackt mit einem schlaffen Glied, die Kinder hüpfen fröhlich in Unterhosen herum. Das mag grenzwertig sein, aber nicht obszön.

Das Verbotene spielt sich nur im Kopf des Betrachters ab, wie das Begehren im Kopf des Hauptdarstellers. Es ist quälend, wie sich der innerlich zerrissene Mann der verdrängten Wahrheit stellt, gegen seine Pädophilie kämpft. Eine starke Szene, wenn der Erwachsene tieftraurig und nachdenklich auf einer Kinderschaukel sitzt, ein in sich Gefangener, herausgeschleudert aus dem Kokon der Lebenslüge.

Seidl holt uns aus der bequemen Komfortzone, konfrontiert uns mit menschlichen Unwägbarkeiten und wagt eine Gratwanderung. Wenn Ewald mit den Kids rauft, mag das sexuell motiviert sein, ist aber nie sexuell ausbeutend, sondern wirkt liebevoll, fast beschützend gegen die Härte des Alltags. Bevor man den dubiosen Vorverurteilungen folgt, sollte man sich trotz leichten Unbehagens sein eigenes Bild machen. Geht es darum, „jemanden zu Fall zu bringen“ und seinen Ruf zu beschädigen, wie Seidl meint, hat das SPIEGEL-Getrommel sein Ziel nur teilweise erreicht: „Sparta“ wurde beim Filmfestival Toronto in vorauseilendem Gehorsam aus dem Programm genommen, das Filmfest Hamburg setzte den Douglas Sirk-Preis für Seidl aus. Das Publikum dagegen pfeift auf mediale Manipulation und feierte „Sparta“ beim Filmfestival in San Sebastian wie bei der Viennale. (Ab 18.5.)Au

Autorin: Margret Köhler

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