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TikTok-Kino-Challenge: „…denn sie wissen nicht, was sie tun.“

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Leere Sitzplätze im Kino
Jüngst ein Schauplatz für Social Media Randale: Der Kinosaal. © AdobeStock

Zuerst in Minions 2 und jüngst im Film Creed III - Rocky‘s Legacy: Jugendliche randalieren für TikTok-Ruhm im Kino

Die chinesische Social-Media-App TikTok ist ein Dschungel, für den jeder Mensch über 30 vergeblich nach Macheten sucht. Wir verstehen nicht, wie es dort funktioniert, wollen das gar nicht so recht und alle paar Monate schwirrt ein dort geborener Trend durch die Medien, dem wir skeptisch bis verachtend gegenüberstehen. Oft vorschnell, im jüngsten Fall aber völlig zurecht: Über TikTok finden sich junge Leute zusammen und versuchen durch dumm-aufrührerisches Verhalten im Kino Vorstellungen von bestimmten Filmen vorzeitig zu beenden. Nicht aus politischen Gründen oder Ähnlichem. Für die digitale Reichweite und um irgendwo dazuzugehören. Rebels without a cause. Und „Rebellen“ eigentlich auch nicht wirklich.

Geboren ist der Trend im Juli 2022 als sich (meist durch und durch männliche) Cliquen von Teenagern besonders fein anzogen, um dann -als Gegenpol zum Outfit- im Kino den albernen Kinderfilm Minions 2 - Auf der Suche nach dem Mini-Boss anzusehen. Die „Gentleminions“ verhielten sich leider oft weniger ritterlich, charmant und höflich als ihr Auftreten vermuten ließ. Man schrie während der Vorstellung, warf mit Bananen -in Anspielung an den Film- und pubertierte quer durch den Saal. Ohne Rücksicht auf andere Zusehende: In diesem Fall oft Eltern, die mit ihren Kindern unter 10 -die eigentliche Zielgruppe des Films- die Vorstellung besucht hatten. Und in der Tat hat die amerikanische Medienauswertungsstelle PostTrak evaluiert, dass 34 Prozent der Kinozuschauer von Minions 2 zwischen 13 und 17 Jahren alt waren. Ein ungewöhnlich hoher Wert für einen Kinderfilm, der definitiv auf den Trend zurückzufuhren ist. Vorkommnisse dieser Art waren in Deutschland da aber noch eine Seltenheit.

Erst mit dem Start von Creed III – Rocky’s Legacy schwappt der Trend zu uns herüber. Diesmal in einer „radikalisierten“, also egoistisch-nervigeren Form. Das ausdrückliche Ziel ist es, die Vorstellung durch unflätiges Verhalten zum Abbruch zu bringen. Bundesweit gab es Vorfälle, die Polizei schritt ein, sogar von Waffen im Kinosaal gab es Berichte. Im Münchner Mathäser wurden Vorstellungen des Films zumindest pausiert. Dass das Alles einfach unfassbar dumm und selbstsüchtig ist, brauche ich nicht neu ausführen. Die Konsequenzen: Kinos müssen mehr Geld für Security ausgeben, lassen nur Menschen über 18 in die jeweiligen Filme oder nehmen sie ganz aus dem Programm. Ein kleiner Lichtblick: Der Trend trifft eher die finanziell besser laufenden Mainstreamkinos. Nicht jeder Kinobesuch ist also eine TikTokende Zeitbombe. In der Godard-Retrospektive darf man sich vor den Randalierern wohl weiterhin sicher wähnen. Überhaupt ist es fraglich, ob der Trend bei einem kommenden Film wieder aufleben wird. Was bleibt ist Ernüchterung: Darüber, dass manche Jugendliche ihre Empathie für die Umwelt genau an einem Ort ausschalten, wo es anderen um Einfühlung in Schicksale und Geschichten geht. Auch darüber, dass besonders aufgeweckte Erwachsene die Kinorandale direkt mit den rein wissenschaftlich höchst gerechtfertigten Protestaktionen der Klimaaktivisten gleichsetzen. Wie man es dreht und wendet: Ein Phänomen ohne Happy End.

Franz Furtner

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