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„Rimini“ von Ulrich Seidl: Der Schnee vergangener Zeiten

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In Ulrich Seidls neuem Film „Rimini“ kann der legendäre Badeort sehr kalt sein
In Ulrich Seidls neuem Film „Rimini“ kann der legendäre Badeort sehr kalt sein © Ulrich Seidl Filmproduktion

In Ulrich Seidls neuem Film „Rimini“ kann der legendäre Badeort sehr kalt sein

„Unsere Freude war groß“, erzählt Ulrich Seidl, über den Moment, Anfang 2018, als es endlich losgehen konnte mit den Dreharbeiten. Wochenlang hatten Crew und Schauspieler auf den Nebel gewartet, der ihren Drehort, das legendäre Sommer-
Seebad Rimini an der Adriaküste, in eine geisterhafte winterliche Atmosphäre der Tristesse und des Zwielichts tauchen sollte. Aber es gab einen Sonnentag nach dem anderen, erst Anfang 2018 war es so weit, da kam nicht nur der Nebel, sondern jede Menge Schnee. „Das hat uns beflügelt.“ Ulrich Seidl ist ein Spezialist für das stillgelegte, ausgebremste, verspießerte Leben.

Rimini erzählt von Richie Bravo, der einst ein beliebter Schlagerstar war und eine kleine Villa in Rimini hat; er schart nun alte treue Fans um sich, die in Bussen nach Rimini kommen, um ihn noch einmal live zu erleben, die beglückt sind, wenn er in schäbigen Ballsälen das Mikrofon ergreift und von Amore singt. Es sind alte Damen, vorwiegend, die sich im Saal verteilen, jede hat sich ganz besonders zurecht gemacht, Kleid und Frisur und eine verführerische Miene – und Richie, das spürt man, singt für jede einzelne von ihnen.

Michael Thomas ist bravourös als Richie Bravo, ein wuchtiger Mann in seinen (nicht mehr wirklich) besten Jahren, mit langem blonden Haar und Ziegenbärtchen, anrüchiger Charme und unerhörte Stehaufmännchen-Energie. In seinem Seehundfellmantel stapft er durchs kalte Rimini, vorbei an schwarzen hingekauerten Gestalten – Flüchtlinge aus Afrika, die auf einen Platz in Europa hoffen. Das Gefühl der Vergänglichkeit ist schmerzlich in diesem Film, die Aura der tempi passati. Eines Abends steht eine junge Frau unter den Zuhörenden, das ist Tessa, Richies Tochter (Tessa Göttlicher). Vor achtzehn Jahren hat Richie ihre Mutter sitzen lassen, nun hat Tessa ihn ausfindig gemacht und fordert Entschädigung – keine Liebe natürlich, aber Geld, für ein Auto, eine Wohnung, den Führerschein.

Tessa nervt, aber Richie ist wild entschlossen ihr all das zu verschaffen – und schreckt dabei vor richtig gemeinen Aktionen nicht zurück. Ein Film über Ausbeutung, wie alle von Ulrich Seidl, die Ausbeutung der Gefühle und Sehnsüchte, und am schmerzhaftesten die Selbstausbeutung. Seine Filme leben davon, wie die kleinbürgerliche (österreichische) Psyche vor seiner Kamera sich entblößen lässt.

„Rimini“ ist als erster Teil eines Doppelstücks angelegt, der zweite heißt „Sparta“, er wird von Richies Bruder Ewald erzählen, der in Rumänien kleine Jungen filmt und die Bilder ins Netz stellt. Seidl soll beim Dreh mit den Minderjährigen die Aufsichtspflicht missachtet haben – deshalb wurde der Film kurzfristig aus dem Programm des Toronto Filmfestival genommen. Auf dem Festival in San Sebastian wurde er dann ohne Skandal aufgeführt und gefeiert.

Am Anfang von Rimini sieht man die beiden Brüder – Michael Thomas und Georg Friedrich – das kalte verlassene Elternhaus aufsuchen, die Mutter ist eben gestorben, der Vater wurde ins Altenheim eingewiesen wegen Demenz. Der große Hans Michael Rehberg spielt ihn, erschütternd, es war seine allerletzte Rolle. Die Brüder durchwandern die leere Räume, sie liefern sich noch einmal eine verbissene Wettfahrt mit den alten Kinderfahrzeugen ... Jeder Ulrich-Seidl-Film ist im Innersten der Traum von einer Zeitreise.

Autor: Fritz Göttler

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