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Sätze von sanfter Eleganz

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Léa Seydoux
An einem schönen Morgen mit Léa Seydoux © Les Films du Losange

Mia Hansen-Løves „An einem schönen Morgen“

Leicht gebückt steht Sandra vor der geschlossenen Wohnungstür, wartet, dass man sie einlässt. Wo ist der Schlüssel, fragt eine Stimme drinnen, es ist ihr Vater Georg, den sie gerade besuchen kommt. Der steckt im Schloss, erklärt sie durch die Tür. Wo ist das Schloss, fragt der Vater weiter, und sie: Das Schloss ist in der Tür ... Wo ist die Tür?

Das ist ein unerwartet komischer Moment in „An einem schönen Morgen“, dem neuen Film von Mia Hansen-Løve, schaurig komisch. Der Vater hat eine neurodegenerative Krankheit, verliert das Seh- und das Denkvermögen und kann nicht mehr für sich sorgen. Er war Philosophieprofessor und Übersetzer, hat sein Leben lang mit Büchern gelebt. Nun gilt es, einen Platz in einem guten Pflegeheim für ihn zu finden, was gar nicht leicht ist für die Familie. Sandras Mutter, die Ex von Georg, treibt die Sache resolut voran, seine Bücher müssen eben weg... Man sieht in den Regalen, was Georgs Leben ausmachte, Montaigne und Baudelaire, Kierkegaard und Hegel. Was bleibt von einem Leben, fragt der neue Film von Mia Hansen-Løve. Noch heftiger als ihr voriger, „Bergman Island“, vibriert er zwischen Lebensbedürftigkeit und Lebenslust.

Viel Autobiografisches steckt in dieser Geschichte – in Georg viel von ihrem Vater, der in Wien aufwuchs, Deutsch war seine erste Sprache, und Mia fing sogar an, Germanistik zu studieren. Es sind die Filme, die mich suchen und wählen, sagt Mia Hansen-Løve. Sandra ist Dolmetscherin, man sieht sie bei der Arbeit auf Konferenzen oder bei internationalen Gedenkfeiern. Léa Seydoux ist Sandra, alleinerziehende Mutter, der Mann ist gestorben. Hansen-Løve wollte Seydoux, die sonst cool und glamourös ist (bei James Bond oder in „France“), ganz unscheinbar und kindlich, sie hat in diesem Film kurze Haare, wie Jean Seberg in Godards „Außer Atem“. Als ein Mädchen sie auf der Straße anspricht und nach der Adresse des Vaters fragt, sie war Studentin bei ihm, bricht Sandra in Tränen aus. Pascal Greggory ist Georg, seine Züge sind kantig geworden, der Blick verunsichert und ziellos. Man kennt ihn als blonden, etwas arg selbstbewussten Burschen vom Strand aus Eric Rohmers „Pauline am Strand“, 1983, und aus anderen Rohmer-Filmen. Er war lange der Lebensgefährte von Patrice Chéreau und hat auch in vielen von dessen Filmen gespielt.

Sandra begegnet dann einem Freund von früher, Clément, er ist ein Kosmochemiker (ein Beruf, den er immer wieder erklären muss). Sandra und er werden ein Liebespaar, erst zögerlich – Clément ist verheiratet, und er schreckt davor zurück, seine Frau zu verlassen. Melvil Poupaud ist Clement, er war der Junge in einem anderen Strandfilm von Rohmer, „Sommer“, 1996, gemeinsam mit Greggory hat er im Proust-Film von Raúl Ruiz „Die wiedergefundene Zeit“ gespielt, und er war in einigen Filmen von François Ozon dabei. Der Film hat die offene Leichtigkeit vieler Filme von Rohmer und Ozon, aber auch die Trauer darüber, dass ein geliebter Mensch noch präsent ist, aber allmählich verschwindet. Es ist bewegend, wenn die andern Georg seine Zukunft erklären und er darauf reagiert mit Sätzen, die hilflos, aber von sanfter Eleganz sind. (Ab 8.12.)

Autor: Fritz Göttler

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