1. Startseite
  2. Kino

Kinochef Matthias Helwig: „Ich brenne für meine Leidenschaft“

Erstellt:

Liebt das Kino von Kindheit an: Matthias Helwig
Liebt das Kino von Kindheit an: Matthias Helwig © Jörg Reuther

Neun-Euro-Ticket glühen lassen: Matthias Helwig lockt beim Fünf Seen Filmfestival Fans und Promis ab 24.8. in die schönste Kinolandschaft der Welt. 

Herr Helwig, Sie leben und arbeiten in einer der malerischsten Gegenden überhaupt. Wie viel Überwindung hatte es Sie eigentlich einst gekostet, den Blick mal weg vom Alpenpanorama über die Seen zu richten und auch noch eine rundum leidenschaftliche Kino-Begeisterung zu entwickeln?
Matthias Helwig: Andere lieben es, am See zu liegen und schöne Geschichten zu lesen. Ich liebe es, im Kino zu sitzen und mir dort schöne Geschichten anzuschauen. Ich liebe Filme. Angefangen hatte das mit meinem Vater, er war ein begeisterter Kinogänger. Ich hatte das Glück, seit 1986 mit meinen Kinos meine Leidenschaft ausleben zu können.

Die Vorfreude aufs Festival bei den Fans ist groß. Wie viel Arbeit hinter den Machern liegt, sieht man nicht immer gleich auf den ersten Blick, wenn es dann endlich los geht. Wie viel Schweiß floss eigentlich bei Ihnen und Ihren Teams in der heißen Planungsphase?
Genügend! (lacht) Die Arbeit beginnt sofort nach dem Fünf Seen Filmfestival mit dem Besuch des Festivals in Venedig. Und die Hauptarbeit beginnt mit der Berlinale. Bei diesen und anderen Festivals sichten wir und entdecken wir oft fantastische Filme, bei denen wir uns denken, die müssen wir beim Festival bringen, weil sie es im normalen Kino-Geschäft schwer haben. Die Hauptarbeit hat ihren Höhepunkt im Juni und Juli mit der Fertigstellung des Programms. Wir haben ein sehr, sehr kleines Team – selbst in der heißen Zeit sind das nur sieben Leute. Und diese müssen wirklich rund um die Uhr arbeiten, und sie tun das, weil sie begeistert sind von dem Event.

Die Freude darüber, dass so vieles im Kulturbereich wieder ohne Einschränkungen möglich ist, trifft oft aktuell auch auf neue Probleme und unerwartete Zurückhaltung. Woher nehmen Sie die Energie, so leidenschaftlich und mitreißend für die Freude am Film und für die Rückkehr des großen Publikums zu kämpfen?
Jeder Kulturschaffende brennt für seine Leidenschaft. Und wenn man diese Leidenschaft wirklich hat – egal wo sie herkommt –, dann bleibt sie auch und man versucht auch in schwierigen Situationen, sie umzusetzen.

Jedes Festival ist auch ein Fest. Trotzdem ist die ganz ausgelassene Stimmung leider ja noch nicht verlässlich zurück. Welchen Beitrag kann denn Ihre aktuelle Filmauswahl auch dabei leisten, nicht nur die Freude am Kino zu feiern, sondern auch einige der Sorgen um den Zustand der Welt mit einzufangen?
Spielfilme und Dokumentarfilme können authentisch und mit Einfühlungsvermögen zeigen, wie die Verhältnisse in einem Land wirklich sind. Man kann als Zuschauer mit den Menschen in diesen Filmen mitleben und sich in ihre Situation einfühlen. Das ist ganz anders, als wenn ich einen kurzen Fernseh-Ausschnitt sehe oder eine Fernsehdokumentation mit Voice-Over. Wir haben wie in den Vorjahren wieder die Ukraine im Fokus. Der ukrainische Film „Klondike“ spielt in der Zeit, bevor der Krieg in der Ostukraine begann, und zeigt, wie die Menschen dort versuchen, sich zu arrangieren, sei es mit der ukrainischen, sei es mit der russischen Seite. In den Familien ist es schwer, Stellung zu beziehen – und dann beginnt die Gewalt und zerstört die Familien. Wir haben auch wie in den vergangenen Jahren Filme aus Taiwan im Programm, darunter „American Girl“ über ein 13-jähriges Mädchen, das aus Los Angeles nach Taipeh kommt und dort Probleme hat, sich zurechtzufinden. Und wir zeigen wieder Filme über den Balkan und die patriarchalischen Zustände dort, „Vera Dreams of the Sea“, „Hive“ oder Die albanische Jungfrau“. Ein Festival ist die Möglichkeit, von den schnellen Überschriften wegzukommen und sich wirklich mit einem Thema oder einer Region zu befassen.

Können Sie noch weitere Filme herausgreifen?
Die besten Filme laufen im internationalen Wettbewerb um den Fünf Seen Filmpreis. Herausragend ist zum Beispiel der rumänische Film „Miracle“. Es geht um eine Novizin, die in einem Wäldchen ihre Kleidung wechselt und mit einem Taxi in die Stadt fährt. Man weiß nicht genau warum und muss den Film schon genau anschauen, um das herauszufinden. Dann fährt sie mit einem anderen Taxifahrer wieder zurück und kommt wieder in dieses Wäldchen. Das Ganze ist dann aber auch noch eingebunden in eine Polizeigeschichte aus Sicht eines Kommissars. Man weiß bei diesem Film nie, welche Wendung er nimmt, wie bei „Parasite“. Toll finde ich auch „Mikado“ oder den Dokumentarfilm „Sons of Cain“. Es gibt aber auch süße, schöne Filme wie die romantische Komödie „Hard Shell Soft Shell“.

Was war Ihnen in diesem Jahr besonders wichtig bei der Auswahl der Filme?
Wichtig war mir dasselbe wie in jedem Jahr: ob ich einen Film gut finde und er seine Geschichte authentisch und glaubhaft erzählt. Es darf nicht aus dem Nichts irgendetwas passieren und die Geschichte ändern, nur weil die Macher meinen, noch etwas draufsetzen zu müssen. Ich schaue sehr gerne einfach Menschen im Kino zu, in diesem wunderbar abgeschotteten dunklen Raum. Das vergessen die Filmemacher oft, weil sie immer mehr vom Fernsehen und den Streamern verdorben sind, wo man immer Angst haben muss, dass die Frau oder der Mann zur Spüle geht und oder sich schnell noch einen Wein holt, wenn es langweilig wird. Die Filmemacher sollten heute viel mehr ins Kino gehen, dann würden sie sehen, dass man einer Geschichte folgen kann, in der von der Handlung her gar nicht viel passiert, aber eben doch wahnsinnig viel passiert, wenn man in die Gesichter und in das Innenleben der Figuren blickt, wie etwa in den Festivalfilmen „Hive“, „Miracle“ oder „Silent Land“.

Was ist für Sie, auf eine kurze Formel gebracht, das verlässlichste Glücksversprechen beim Fünf Seen Filmfestival und beim hoffentlich dann wieder regelmäßigen und selbstverständlichen Kinobesuch?
Gute Filme zu sehen. Und andere Menschen zu treffen, mit denen man sich vor dem Film und auch danach wieder austauscht. Da ist dieses Brodeln. Wenn man in Venedig einen wirklich intensiven Film gesehen hat, kann man danach an den Lido gehen. Das Schöne am Fünf Seen Filmfestival ist: Man kann danach an den See gehen.

Sie haben wieder tolle Gesprächspartner und Film-Prominente anlocken können: Auf welchen Festivalabend, auf welchen Austausch freuen Sie sich denn besonders?
Ich freue mich auf Anne Ratte-Polle, die in großartiger Weise den Eröffnungsfilm am 24. August trägt: „Alle wollen geliebt werden“. Ich freue mich auf Iris Berben, eine seit Jahrzehnten präsente, herausragende Schauspielerin, die sich auch sehr viel um Filmpolitik gekümmert hat und gesellschaftlich stark engagiert ist. Ich freue mich auf die vielen Regisseure, die teilweise noch nicht so bekannt sind, aber viel erzählen können aus Regionen wie dem Balkan oder der Ukraine. Und ich freue mich auf Sandra Hüller, die am 4. September den Hannelore-Elsner-Preis entgegennimmt. Ich halte sie für eine herausragende Schauspielerin, sie hat mich schon in mehreren Filmen wirklich begeistert. Ihr Besuch ist ein echtes Highlight zum Schluss.

Letzte Frage: Welcher Film – großes Drama, aufwühlende Romanze, Nachdenkliches, Heiteres, Ausgepowertes - wird denn vor Ihrem inneren Auge laufen, wenn das Festival dann Anfang September erfolgreich abgeschlossen ist?
Ich denke dann nochmal an die Gespräche mit Menschen, die ich jetzt noch gar nicht kenne. Und an die Momente des Zuhörens. Einer der schönsten Momente für mich war, als Armin Mueller-Stahl zum zweiten Fünf Seen Filmfestival kam. Ich saß mit ihm auf der Bühne und musste einfach nur ein bisschen Taktgeber sein. Er hat erzählt, ich saß einfach daneben, hab ihm zugehört und dachte, was für ein Glück habe ich? Solche Momente sind die schönsten.

Interview: Rupert Sommer

Eine Einladung, sich sofort wieder schockzuverlieben ins Kino. Schon zum 16. Mal veranstaltet Mathias Helwig, Betreiber der drei Kinos Breitwand Starnberg, Breitwand Gauting und Breitwand Seefeld sowie einer der leidenschaftlichsten Förderer und Ermöglicher der bayerischen Kinoszene, das Fünf Seen Festival. Alle Infos zu Filmen, Tickets, Promi-Events, Galas und Freiluft-Partys vom 24. August bis 4. September gibt’s hier.

Auch interessant