Aktenzeichen XY ungelöst

„In der Nacht des 12.“ von Dominik Moll
Ein Mädelsabend. Bis in die Morgenstunden hat er gedauert. An der Haustür verabschiedet sich die 21-jährige Clara (Lula Cotton-Frapier) von ihrer Freundin Nanie (Pauline Serieys). Schickt ihr auf dem Heimweg noch eine SMS. Plötzlich steht eine vermummte Gestalt vor ihr. Überschüttet sie mit Benzin. Zündet sie an. Verschwindet dann im Dunkeln. Ein Femizid.
Rund 800 Morde werden alljährlich in Frankreich begangen. 20 Prozent bleiben unaufgeklärt. So wie dieser. Darüber informiert ein Text - insert zu Beginn von „In der Nacht zum 12.“. Der Fall landet auf dem Schreibtisch von Yohan Vivès (Bastien Bouillon). Er hat in der Tatnacht im Kollegenkreis feuchtfröhlich die Pensionierung seines Ex-Chefs gefeiert. Verkatert macht er sich mit Marceau (Bouli Lanners), einem erfahrenen, langjährigen Kriminalbeamten, auf den Weg zum Tatort, einer Grünanlage in der Kleinstadt St. Jean de Maurienne nahe Grenoble. Nachdem Yohan der Mutter (Charline Paul) die Todesnachricht überbracht hat, nehmen die Polizisten in Zweierteams die Untersuchungen auf.
Nanie gibt anfangs bereitwillig Auskunft. Weiß von einem festen Freund namens Wesley (Baptiste Perais). Der hat ein Alibi. Genauso wie Claras Kletterkamerad Jules (Jules Poirier), einer ihrer zahlreichen „Sexfreunde“. Ein möglicher Täter nach dem anderen wird ausgeschlossen. Die Ermittlungen werden nach drei Jahren eingestellt. Bis eine ehrgeizige Richterin (Anouk Grinberg) die Akte wieder öffnet und ein neuer Verdächtiger auftaucht ...
Ein auf den ersten Blick klassisches Whodunit. Doch der belgische (Arthouse-)Regisseur Dominik Moll („Die Verschwundene“), gemeinsam mit Gilles Marchand für das Drehbuch verantwortlich, verweigert sich den Konventionen des Genres. Sein Drama fußt auf dem Sachbuch „18.3: Une année à la PJ“ von Pauline Guéna, die ein Jahr lang die Männer und Frauen eines Pariser Vorortreviers bei ihrer Arbeit begleitete und dabei Yohan kennenlernte. Und von ihm erfuhr, wie Claras Ermordung ihn nachhaltig belastete – psychisch wie physisch. Ein Kriminalfilm, aus der Perspektive der Exekutive erzählt, nüchtern, streng der Authentizität verpflichtet. Keine atemlose Mörderhatz, keine überraschenden Volten, kein lautes, blutiges Spektakel. Telefonate und Amtshilfeansuchen. Unbezahlte Überstunden, zu wenig Ressourcen, mangelhaftes Gerät, darunter ein defekter Drucker, der immer wieder für Wutausbrüche sorgt. Zig Spuren, die im Sand verlaufen. Endlose Verhöre, häusliche Gewalt.
Geradezu dokumentarisch ist der Stil, funktional, unaufgeregt die Kameraführung von Patrick Ghiringhelli, der dem Protagonisten hautnah folgt. Dieser, fast regungslos von Bouillon verkörpert, fährt in seiner Freizeit Rennrad, zieht in einem Velodrom verbissen seine Kreise. Kommt dabei wie ein Hamster im Laufrad nicht vom Fleck – wie bei seinen Recherchen. Kompagnon Marceau zerbricht derweil, quittiert den Dienst. Yohan macht mit seiner Neo-Partnerin Nadia (Mouna Soualem) weiter. Taucht tief in die kleine Gemeinde ein, weiß bald alles um die Lügen und Geheimnisse ihrer Bewohner. Gibt die Hoffnung nicht auf. Wie der Zuschauer, der gespannt aber vergeblich auf ein Happy End wartet. (Ab 12.1.)
Autor: Gebhard Hölzl