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Die Heilige der TV-Schlachtfelder: „France“ von Bruno Dumont

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Von: Andreas Platz

Léa Seydoux in „France“ von Bruno Dumont
Erlösung ersehnt: Léa Seydoux in „France“ von Bruno Dumont © Roger Arpajou / 3B

Die TV-Journalistin France de Meurs verletzt bei einem Unfall mit ihrem Auto einen Rollerfahrer und gerät anschließend in eine schlimme Abwärtsspirale

Mit Frauen im Krieg kennt Bruno Dumont sich aus, 2017 hat er den Film „Jeannette“ gedreht, ein Singspiel über die Kindheit von Jeanne d’Arc, der kämpferischen Heiligen Frankreichs, zwei Jahre darauf „Jeanne d’Arc“, über den Prozess, den ihr die Kirche und die Engländer nach ihrem Erfolg auf dem Schlachtfeld machten.

Nun präsentiert er „France“, die (fiktive) Powerfrau der aktuellen französischen TV-Nachrichtenshows - sie wird verkörpert von Léa Seydoux, dem jungen internationalen Shooting Star, die alles kann und sich vieles traut im Kino, was sie bewiesen hat in Filmen von Woody Allen und Raul Ruiz, Jessica Hausner und Wes Anderson, mit Tarantinos „Inglourious Basterds“ und James Bond.

France de Meurs also, die heißt wie das Land, für das sie Nachrichten-Clips produziert und kommentiert, attraktiv gestylt und heiß begehrt für exklusive Soireen und Selfies aller Art. Sie legt sich mit allen an, zu Beginn des Films montiert Dumont sie ungeniert in eine Pressekonferenz mit Emmanuel Macron hinein, wo sie ihm eine freche Frage vor den Latz knallt: „Monsieur le président, die Gesellschaft steckt in einer kritischen Lage, sind Sie taub oder machtlos?“ Deren präsidiale Beantwortung ist dermaßen dröge, dass man sie schon vergessen hat, bevor der Satz zu Ende ist.

Ihre Assistentin Lou, gespielt von Blanche Gardin, ist begeistert ... Genial, super, signalisiert sie ihr, puff, ein Volltreffer. France berichtet gern vom Krieg, mit Helm und Schutzweste springt sie hektisch mit ihrem kleinen Team zwischen Ruinen und eröllhalden herum, von Drohnen attackiert. Sie inszeniert sich selbst und auch all die jungen Krieger vor der Kamera, ruft selber Action und Cut, und lässt die Männer kraftvoll und sexy ihre Waffen in die Luft recken.

Zu sehen ist das ganze in ihrer eigenen Show, „Blicke auf die Welt”, die Anchorlady als absolute Autorenfilmerin. TV ist ein zynisches Business, seiner Natur nach, selbst dann, wenn es sich um Objektivität und Aufrichtigkeit bemüht. Die Wahrheit?! Alles ist vermittelt, eine Frage der Perspektive, der Unterschied zwischen true und fake gar nicht so eindeutig.

Satire an sich aber interessiert Bruno Dumont nicht, seine France wird in ihrer innersten Existenz erschüttert. France de Meurs, in ihrem Namen klingt das französische Wort für Sterben an, und der demeuré ist im Französischen ein Schwachkopf. France wird mit einem ganzen Arsenal melodramatischer Momente konfrontiert, sie fährt mit dem Wagen einen jungen Mann um, hat Krach mit ihrem Lebensgefährten, einem Literaten, sie geht auf Reha in ein winterliches Sanatorium – eine der Mitleidenden dort ist Juliane Köhler, in blasierter Zauberberg-Seligkeit – und erfährt, dass Liebe brutaler Verrat sein kann, sie verplappert sich mal, als sie nicht merkt, dass ein Studiomikro eingeschaltet ist usw. ...

Dumont filmt Léa Seydoux aus der Distanz, um ihr Geheimnis zu bewahren, ihre Komplexität, ihre Tiefe. Immer öfter fängt France an zu weinen, unwillkürlich, und Seydouxs Tränen sind verstörend und bewegend und unbegreiflich. Auch France ist auf ihre Weise eine Heilige, und es geht in Dumonts Film um Erlösung. Wie man sich mit Melancholie aus dem System der Medienwelt befreit, hat Léa Seydoux das in einem Interview genannt. Erlösung ist möglich, sagt Dumont, sie ist winzig, aber wunderschön.

Autor: Fritz Göttler

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