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Geschäftsstellenleiterin beim Kunstareal München Laura Schieferle: „Freue mich riesig über Frauenpower“

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Spielt gerne Terminkalender-Tetris: Laura Schieferle
Spielt gerne Terminkalender-Tetris: Laura Schieferle © NN

18 Museen, 5000 Jahre Kulturgeschichte – und täglich Überraschungen. Was Laura Schieferle vom Kunstareal fürs neue Jahr empfiehlt

Frau Schieferle, München ist weltbekannt für seine Museen, die Münchner lieben die vielen Angebote. Und auch erfahrene Kulturgänger lassen sich ja immer wieder neu überraschen. Was sind für Sie selbst die spannendsten Wieder-Begegnungen und Neu-Entdeckungen, wenn Sie Erkundungsspaziergänge durchs weitläufige Kunstareal machen?
Wissen Sie, was ich erst entdeckt habe, nachdem ich schon mehrere Monate im Kunstareal tätig war? Die riesigen Holzbänke am Rande des HFF-Innenhofs, in Richtung Musikhochschule. Einer der schönsten Pausenorte, vor allem, wenn bei der Musikhochschule die Fenster offenstehen und man den Studierenden lauschen kann. Ebenso begeistert bin ich jeden Tag aufs Neue vom Futuro-Haus vor der Pinakothek der Moderne. 

Warum genau?
Ich laufe vorbei und muss schmunzeln. Was aussieht wie ein UFO, ist eine vom finnischen Architekten Matti Suuronen konzipierte Skihütte. Ebenso gefällt mir Benjamin Bergmanns Basketballkorb auf dem Dach der Barer Straße 21. Dieses Werk trägt einen Titel, der einfach alles sagt: „Never Ever“. Finde ich super!

2022 war ja stark von der Festivalsaison zu 20 Jahren Pinakothek der Moderne geprägt – mit diversen Ausstellungen und neuen Hängungen. Welche Highlights dürften das noch neue Kulturjahr in der Stadt am stärksten prägen?
Wenn wir bei den Jubiläen bleiben: Das Bayerische Staatsorchester feiert dieses Jahr 500. Geburtstag – da möchte ich mir einiges aus dem „Unplugged“-Programm anhören. Ganz unterschiedliche Zielgruppen wird das Flower Power Festival mit seinen vielen Akteuren begeistern. Und der Ausstellungskalender im Kunstareal ist wie immer dicht gepackt. Aber wie könnte es anders sein, bei 18 Museen und 5000 Jahren Kulturgeschichte…

Über Laura Schieferle

Netzwerkerin aus Nürtingen: Laura Schieferle leitet die Geschäftsstelle des Kunstareals Münchens. Die Koordination eines der wichtigsten Kulturstandorte Europas wurde ins Leben gerufen, um die vielen Museen, Galerien sowie die Kunst- und Wissenschaftsinstitutionen rund um die Pinakotheken und den Königsplatz besser zu vernetzen und zu fördern. Finanziert wird das Projekt je zur Hälfte vom Freistaat und von der Stadt München. Vor ihrem Wechsel zum Kunstareal war die bestens in der Kulturwelt verdrahtete Kommunikationswissenschaftlerin rund 15 Jahre Marketingmangagerin und Referentin für Medien und Kommunikation an der Bayerischen Staatsoper. www.kunstareal.de

Worauf freuen Sie sich selbst am meisten?
Es gibt zwei Ausstellungen, auf die ich besonders gespannt bin: Unter dem Titel „Leben? Oder Theater?“ zeigt das Lenbachhaus ab Ende März das Lebenswerk von Charlotte Salomon. Die 1917 in Berlin geborene Künstlerin flüchtete 1939 nach Südfrankreich und wurde 1943 in Auschwitz ermordet. In den zwei Jahren nach ihrer Flucht entstand ein vielfältiges und sehr reichhaltiges Werk, das sie selbst „Singspiel“ getauft hat und das im Prinzip wie eine Graphic Novel aufgebaut ist.

Und die zweite Sache?
Ende des Jahres widmet sich die Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne der Ästhetik des Fehlerhaften.

Ok, kurios.
Ja, richtig, der Fokus liegt auf Fehlern! „Glitch – die Kunst der Störung“ beschäftigt sich mit verzerrten Bildern, bunten Pixelformationen und dem, was entsteht, wenn ein Smartphone-Display zerbricht. Die so genannte Glitch Art ist eine vollkommen unberechenbare Kunstform – und ich bin mir sicher, auch die Ausstellung wird uns alle überraschen!

Wie sieht eigentlich der Blick in Ihren eigenen Kunstkalender aus: Wie schwer fällt es Ihnen, in der Überfülle der Themen Überblick zu behalten und Schwerpunkte zu setzen?
Über einen zu vollen Kalender will ich mich auf keinen Fall beschweren. Ich bin einfach glücklich darüber, laufend spannende Termine auf meiner beruflichen Agenda zu haben. Ich nehme mir aber bewusst viel Zeit für die Planung und habe schon im Herbst einiges, was ich 2023 nicht verpassen möchte, eingetragen. Die Montagabende halte ich mir grundsätzlich frei, da ich an diesen privat Musik mache, und über die Wochenenden bestimmt meine Familie. An den restlichen Tagen spiele ich zwar oft Tetris mit den Terminen, aber irgendwie klappt dann doch das meiste. Nur auf eines verzichte ich nie: ausreichend Schlaf.

Die Initiative Kunstareal bringt ja vieles zusammen, was für Touristen und Kunstfreunde eigentlich naheliegend auf denselben Tagesplan gehört, oft aber wegen verschiedener Träger im Hintergrund vermutlich gar nicht so leicht zu koordinieren ist. Wie würden Sie denn in einfachen Worten die Grundidee fürs Kunstareal beschreiben?
Nirgendwo in Europa findet man so viele Kunst-, Kultur-, und Wissenschaftseinrichtungen auf so dichtem Raum – auf 500 x 500 Metern befinden sich im Kunstareal insgesamt knapp 60 Museen, Hochschulen, Kulturinstitutionen und Kunstgalerien. Was für ein riesiger Think Tank mitten in der Stadt! Letztes Jahr haben wir in Kooperation mit der HFF München unseren ersten Imagefilm realisiert. Das junge Arcticfox Collective hat uns im Pitch mit einer knappen Message überzeugt: „Das Kunstareal ist, was du daraus machst!“ überzeugt. Genau dieser Satz bringt es auf den Punkt.

Für die Besucher sollte es ja eigentlich keinen Unterschied machen. Aber wie knifflig ist es manchmal tatsächlich, dass sich große und kleine, städtische und staatliche, öffentliche und private Einrichtungen finden und an einem Strang ziehen: Was muss passieren, dass sich Verbindungen festigen?
Als ich vor drei Jahren gestartet bin, dachte ich, dass sich die Vorstellung dessen, was das Kunstareal ist und sein kann, dass sich die Ziele und Arbeitsweisen der einzelnen Einrichtungen massiv unterscheiden. Aber dann habe ich schnell erkannt: Eines verbindet hier alle, und das ist der enorm hohe Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit. Auf dieser Basis kann eine wunderbare Zusammenarbeit stattfinden, so divers die Hintergründe auch sein mögen. Um das Potential voll auszuschöpfen, ist es wichtig, dass sich die einzelnen Player gut vernetzen. Unsere Aufgabe ist es, hierfür den richtigen Nährboden zu bereiten. Und da wir versuchen, immer die Besucher*innen-Brille zu tragen, ist mir auch der Servicegedanke extrem wichtig. Davon profitieren alle.

Oft ziehen ja die großen Häuser viel Aufmerksamkeit auf sich: Wie kann es gelingen, dass auch die Galerien zumindest ab und an vom Grundrauschen der Themen auf dem Kunstareal mitprofitieren?
Wir gewichten das Angebot der Galerien genauso stark wie das der großen Ausstellungshäuser – sie sind auf unserer Website ebenso mit ihrem Programm gelistet wie auch die „big names“. Und in unserem Newsletter stellen wir regelmäßig deren Highlights vor.

Selbst routinierte Kulturbesucher scheuen sich ja offenbar gelegentlich, private Galerien „einfach so“ zu besuchen: Was ist Ihr bester Tipp gegen solche Schwellenängste?
Der Besuch einer Ausstellungseröffnung ist ein guter Einstieg. Da ist in der Regel so viel los, da kann man problemlos in der Menge untertauchen und quasi unbeobachtet die Kunst genießen. Die Termine werden online angekündigt, man findet sie auch im Kunstareal-Kalender. Während der Open Art im Herbst gibt es außerdem geführte Galerie-Rundgänge. Da ist man dann beispielsweise zwei Stunden im Kunstareal unterwegs und lernt mindestens vier Galerien und deren Arbeit kennen.

Sie vertreten ja nicht nur Museen und Galerien, sondern auch die verschiedenen Hochschulen des Areals: Wie gut können sich Profs und Studierende einbringen, um wirklich interdisziplinäre gute Projekte zu entwickeln?
Da gibt es die unterschiedlichsten Möglichkeiten und gerade die Hochschulen erlebe ich immer hochmotiviert, wenn es um das „Anzetteln“ von Kooperationen geht. Die Kunst besteht vielmehr darin, mit den vorhandenen Kapazitäten so umzugehen, dass am Schluss auch ein Ergebnis erreicht wird, das alle zufriedenstellt – das ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Vorläufe nicht ganz einfach. Die Hochschulen denken in Semestern, die Museen planen vieles Jahre im Voraus, während die Galerien viel kurzfristiger agieren können. Aber dennoch entstehen hier regelmäßig tolle Projekte.

Haben Sie ein paar Beispiele?
Na klar: Beim letzten Kunstareal-Fest stellte eine junge Künstlerin, die an der Akademie studiert, im Abgussmuseum aus, Studierende der HFF drehen oft im Auftrag der Museen und Sami Haddadin, Professor für Robotic und Systemintelligenz an der TUM, hat mit seinem Team die Ausstellung „KI.Robotic.Design“ in der Neuen Sammlung konzipiert.

Wo klappt denn die Begegnung von Kunst und der akademischen Geisteswelt am besten?
Das beste Beispiel ist natürlich das Architekturmuseum der TUM. Dieses besitzt auf der einen Seite eine wissenschaftliche Spezialsammlung, also ein sehr umfangreiches Archiv. Auf der anderen Seite zeigt das Museum in der Pinakothek der Moderne vielseitige Sonderausstellungen und präsentiert spannende architektonische Positionen und Trends sowie Rückblicke auf Themen wie die Olympiastadt München im vergangenen Jahr. 

Immer mehr der großen Einrichtungen haben zuletzt Frauen-Führungskräfte bekommen: Wie wichtig ist es, dass das Kunstareal „weiblicher“ wird?
Ja, das ist richtig, an der Spitze aller drei Kunsthochschulen steht jetzt eine Frau. Nachdem ich letzte Woche gelesen habe, dass in Deutschland nur jede vierte hauptberufliche Professur mit einer Frau besetzt ist, kann ich nur sagen: Ich freue mich riesig über die Frauenpower im Kunstareal. Aber schlussendlich geht es natürlich nicht darum, welchem Geschlecht oder ob sich jemand einem zugehörig fühlt, sondern um die inhaltliche Arbeit.

Viele Besucher erwarten ja, dass sich die Kunstvermittlung auch kritisch mit den oft traditionell dezidiert männlichen Blicken auf die Kunst, den Themen und nicht zuletzt den Nacktmodellen oder vermeintlichen „Musen“ auseinandersetzt. Welche neuen Sichtweisen können da weiterhelfen?
Da empfehle ich mit Blick auf 2023 die Ausstellung „Nicole Eisenman. What happened“, die ab 24. März im Museum Brandhorst zu sehen ist. Bei Nicole Eisenman werden idealtypische Körperbilder zu teilweise grotesken Skulpturen. Das ganze Werk fordert uns auf, die heteronormativ geprägte Geschichte der Kunst zu überdenken. Und das Museum Brandhorst bietet ein unglaublich umfangreiches und facettenreiches Vermittlungsprogramm. Waren Sie schon in der Factory?

Leider noch nicht.
Vor Ort und auch online kann man hier in unterschiedliche Themenwelten eintauchen, selbst kreativ werden und bekommt jede Menge Antworten auf die Frage: Was hat zeitgenössische Kunst mit mir zu tun?

Sie setzen ja in der Vermittlung auch auf die sogenannte „leichte Sprache“ – auch bei den beliebten Audio-Walks, die Sie anbieten. Wie wichtig ist es, den Kunstgenuss tatsächlich in vielerlei Hinsicht „barrierefrei“ zu halten?
Der Abbau von Barrieren muss eines der großen Ziele für die kommenden Jahre sein. Wir haben im gesamten Kultursektor einen enormen Aufholbedarf. Da geht es aber um so viel mehr als nur die Übersetzung der Ausstellungstexte in Leichte, Einfache oder Leicht verständliche Sprache. Aus diesem Grund war es mir auch so wichtig, dass wir bei unseren Kunstareal Walks rollstuhlgerechte Routen anbieten, dass es bei allen Stationen auch Videos in Deutscher Gebärdensprache gibt, dass die Audiotexte nicht nur auf Deutsch angeboten werden, dass man sich die Texte in Brailleschrift ausleihen kann und dass wir denjenigen, die kein Mobiltelefon besitzen, die Texte ausgedruckt nach Hause schicken, bevor sie mit ihrem Spaziergang durchs Kunstareal starten.

Manchmal hat vieles am Spaß im Museum ja auch mit Vorbereitung zu tun: Welche Rolle spielen dabei Ihre Digitalangebote?
Da gebe ich Ihnen absolut recht und gehe noch einen Schritt weiter: Auch die Vorbereitung sollte schon Spaß machen. Unser aktuelles Problem im Digitalen ist: Manchmal, vor allem als Neuling, sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Im Kalender auf www.kunstareal.de sind für jeden Tag rund 60 Ausstellungen, Events, Konzerte und vieles mehr gelistet. Natürlich gibt es die Möglichkeit, das Programm nach Vorlieben zu filtern, aber wir wollen in Zukunft noch mehr Service bieten und haben daher im Januar zusammen mit Studierenden der HMTM eine Umfrage unter Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen durchgeführt. So wollen wir erfahren, wie ein digitales Tool, das bei der individuellen Vorbereitung hilft, idealerweise gestaltet sein muss.

Stichwort: Walks: Da soll ja noch einiges aus Ihrem Haus kommen – weitere Geodaten-basierte Angebote. Spannendes Thema ...
Ja, mit den neuen Kunstareal Walks kann jede*r das Kunstareal mit dem eigenen Mobiltelefon entdecken – das geht ganz einfach über unsere Website, ohne dass eine eigene App heruntergeladen muss. Man lässt sich – wann immer man möchte – kostenfrei über das Handy von Station zu Station navigieren. Aktuell bieten wir drei Rundtouren zum Thema Architektur und Baugeschichte an. In den kommenden Jahren wollen wir das Angebot erweitern und beispielsweise auch die Kunst im öffentlichen Raum aufgreifen.

Natürlich ist die noch kühle, dunklere Jahreszeit fast ideal für Museumsbesuche. Trotzdem: Auf der Wunschliste vieler Münchner steht sicher, dass auch der Außenbereich im Kunstareal wohnlicher wird, wie man das etwa aus dem quirligen Treiben vor und um die Museen in Amsterdam oder im Museumsquartier von Wien kennt. Wann kommen wir diesen Wünschen näher?
Während der Lichtaktion, die die Landeshauptstadt im Winter 2020/21 im Kunstareal veranstaltet hat, haben wir gesehen, dass der Außenraum selbst im Winter eine enorme Anziehungskraft entwickeln kann. Das heißt: Ja, was die Aufenthaltsqualität auf den Freiflächen betrifft, ist noch Luft nach oben. Aber quirlig geht es trotzdem zu, vor allem an lauen Sommerabenden – das zeigt auch unser Imagefilm sehr gut! Konkrete Antwort auf Ihre Frage: Bereits diesen Sommer wird es ein paar kleine temporäre Aktionen geben, die die Besucher*innen, Studierenden und Bewohner*innen der Maxvorstadt zum Verweilen einladen werden.

Man wird ja noch träumen dürfen: Wie zu hören ist, soll in diesem Sommer wieder ein Kunstareal-Fest stattfinden
.Da sind Sie schon sehr gut informiert! Das alle zwei Jahre stattfindende Kunstareal-Fest steht wieder auf dem Programm und wird sicherlich eines der Highlights im Kultursommer 2023. Die Vorbereitungen laufen. Weitere Informationen kommen dann im Frühjahr. Bis dahin gilt auch im Kunstareal: Vorfreude ist einfach die schönste Freude!

Interview: Rupert Sommer

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